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23.04.2010 post Internet Archive

Vierzig abgezählte Stufen, ein nüchternes Treppenhaus, das ich nie mit mehr als flüchtigen Blicken streife, zu sehr suchen meine Augen nach Lutz’ Gesicht, der sich gleich bleibenden Verwunderung. Lutz. Ein Name, den ich nie in den Wind geschrien habe, den ich nie in den Wind schreien würde, weil er dazu nicht taugt; er taugt für Hotelreservierungen, Kantinenessen und Gehaltserhöhungen.

Ich lege mich neben ihn ins Bett, seine Hand berührt meine Wange, und ich weiß, er will mich nur trösten, er probiert nur eine Geste aus, die ihm seine Mutter beigebracht hat, die jede Mutter erprobt hat bei ungezählten Kindern, die sich mit erhitzten Gesichtern in ihren Schoß gekuschelt haben nach stets gleich bleibenden Wettkämpfen. Lutz begreift nichts von meinen Tränen, Lutz begreift überhaupt ziemlich wenig, aber mit ihm lässt sich von einer Zukunft träumen, in der ich besser und langweiliger bin, als ich es jetzt für möglich halten würde.

Ich betrachte die Silhouette der Schnarchlaute, die von seinem Atem in die Luft geschleudert werden und gelangweilt wieder herab sinken, ehe ich aufstehe, einen Mantel über den zu großen Pyjama streife, mich durch den Flur nach unten winde, dem milchigen Laternenschimmern entgegen. Den Kopf in den Nacken gelegt, rede ich mir ein, dass das Glitzern dort oben eine Sternschnuppe ist, die ihre Bahn verlangsamt, sich meinem Blick anpasst, eine Sternschnuppe und kein aluminiertes Elefantenbaby mit Menschenkörpern darin, vielleicht ähnlich müde wie ich, auch wenn die auszehrendste, die gewalttätigste Müdigkeit ja immer meine eigene sein muss.

Der Wind schlägt von rechts zu, füllt sich mit Regen, der mich zurück ins Warme treibt. Aber die Fremde, die wässrige Patina, die sich auf meinen Blick gelegt hat, lässt sich nicht weg wischen, auch von Lutz’ verschlafenen Händen nicht. Ich drücke einen Kuss auf das braune Haar, das sich hinter den Ohren hervor lockt, lächle seinem schmalen, blassen Körper zu, der mich immer in Staunen versetzt, der zu gesund, zu schön aussieht für jemanden wie mich.

“Ruf mich an”, sagt er, als ob Worte jemals etwas besser gemacht hätten. Worte rufen keinen Aufstand aus gegen das, was man ist. Worte sind Bluff in anderthalbzeiligem Abstand .




10.05.2010 rss Internet Archive

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Vierzig abgezählte Stufen, ein nüchternes Treppenhaus, das ich nie mit mehr als flüchtigen Blicken streife, zu sehr suchen meine Augen nach Lutz’ Gesicht, der sich gleich bleibenden Verwunderung. Lutz. Ein Name, den ich nie in den Wind geschrien habe, den ich nie in den Wind schreien würde, weil er dazu nicht taugt; er taugt für Hotelreservierungen, Kantinenessen und Gehaltserhöhungen.

Ich lege mich neben ihn ins Bett, seine Hand berührt meine Wange, und ich weiß, er will mich nur trösten, er probiert nur eine Geste aus, die ihm seine Mutter beigebracht hat, die jede Mutter erprobt hat bei ungezählten Kindern, die sich mit erhitzten Gesichtern in ihren Schoß gekuschelt haben nach stets gleich bleibenden Wettkämpfen. Lutz begreift nichts von meinen Tränen, Lutz begreift überhaupt ziemlich wenig, aber mit ihm lässt sich von einer Zukunft träumen, in der ich besser und langweiliger bin, als ich es jetzt für möglich halten würde.

Ich betrachte die Silhouette der Schnarchlaute, die von seinem Atem in die Luft geschleudert werden und gelangweilt wieder herab sinken, ehe ich aufstehe, einen Mantel über den zu großen Pyjama streife, mich durch den Flur nach unten winde, dem milchigen Laternenschimmern entgegen. Den Kopf in den Nacken gelegt, rede ich mir ein, dass das Glitzern dort oben eine Sternschnuppe ist, die ihre Bahn verlangsamt, sich meinem Blick anpasst, eine Sternschnuppe und kein aluminiertes Elefantenbaby mit Menschenkörpern darin, vielleicht ähnlich müde wie ich, auch wenn die auszehrendste, die gewalttätigste Müdigkeit ja immer meine eigene sein muss.

Der Wind schlägt von rechts zu, füllt sich mit Regen, der mich zurück ins Warme treibt. Aber die Fremde, die wässrige Patina, die sich auf meinen Blick gelegt hat, lässt sich nicht weg wischen, auch von Lutz’ verschlafenen Händen nicht. Ich drücke einen Kuss auf das braune Haar, das sich hinter den Ohren hervor lockt, lächle seinem schmalen, blassen Körper zu, der mich immer in Staunen versetzt, der zu gesund, zu schön aussieht für jemanden wie mich.

“Ruf mich an”, sagt er, als ob Worte jemals etwas besser gemacht hätten. Worte rufen keinen Aufstand aus gegen das, was man ist. Worte sind Bluff in anderthalbzeiligem Abstand .

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