drama?

Ze Zurrealism Itzelf


Wie betäubt durch Berlins Straßen stolpern, im Dämmerlicht. Jedem an den Hals gehen wollen, der lächelt, der lacht. Wie können sie einfach so weitermachen, wie können sie tun, als wäre nichts geschehen?

Ich hab von dir geträumt. Du standest in einem riesigen Saal, der gefüllt war mit lächelnden Menschen. Ich fühlte, dass ich nicht dazu gehörte, aber ich kämpfte mich trotzdem zu dir vor. Und als ich dir ins Gesicht schaute, sah ich durch deine Augen ins All. Deine Iriden waren Milchstraßen, bessere Worte finde ich nicht. Das schrieb ich dir am Sonntag, genau vier Wochen vor deinem Tod.

Was habe ich getan, in dem Moment, als du gestorben bist? War da ein Windstoß? Eine kleine Unregelmäßigkeit im Herzschlag?

Ich verstehe jetzt, was das bedeutet, wenn jemand sagt: Es bricht mir das Herz.

Deine Bücher waren mir alles, lange, bevor wir uns begegnet sind. Ich werde nie aufhören, dankbar zu sein, dass ich dich einen Freund nennen durfte.

Du hast mich gesehen, von Anfang an.

Wie kann diese Welt jemals wieder ein guter Ort sein, jetzt, wo es dich darin nicht mehr gibt?

Ich verstehe jetzt, warum Menschen zum Glauben finden. Das Einzige, das mich vom Verrücktwerden abhält, ist die Vorstellung, dass du irgendwo dort oben bist, und vor allem: dass du dort glücklich bist. Dass wir uns eines Tages wiedersehen werden und ich dir nichts erzählen, nichts zeigen, nichts beweisen muss. Weil du alles schon weißt.

Adieu, Roger. Du warst mir so viel.

2015: Ein Schulhofjahr. Die Augen fest auf Asphaltgrau gerichtet; das Herz in der Faust. 2015: Das Jahr, in dem du vergisst, dass es auf Schulhöfen immer die gleichen komplexverseuchten Arschlöcher gibt. Und die immer gleichen Speichellecker, die Daumen und Mundwinkel nach oben recken, solange du eine von denen bist, die mitspielen. Sobald etwas hässlich wird, ziehen Speichellecker ihre flauschigen Schwänze ein und verschwinden in schlecht ausgeleuchteten Raucherecken. Manchmal kommen sie als Arschlöcher zurück, wollen auch noch einen Eimer Scheiße über dir auskippen, im warmen Schatten der anderen.

2015: Das Jahr, in dem du dich erinnerst, dass es nicht gut gehen kann, wenn man versucht, die Falschen für sich einzunehmen.

2015: Das Jahr, in dem du anfängst, reinen Tisch zu machen.

Ich will keine Zeit mehr mit Menschen vergeuden, die nichts von sich wissen (und auch nichts von anderen). Mit Wichtig-Wichtig-Menschen und zwanghaft Distanzierten. Ich will nicht mehr dazugehören, denn dazugehören bedeutet, zu viele Gespräche zu führen, von denen nichts bleibt als ein schaler Geschmack auf der Zunge.

Ich will mich denen zuschreiben, zusprechen, die mich wirklich sehen wollen. Mit allem, was ich bin. Die zulassen, dass ich auch sie sehen kann. Ich will Wörter im Engtanz. Ich will küssen. Ich will schief und laut singen, ich will eine Hand, die meine nimmt, ich will alles sagen, was Speichelleckern peinlich und kitschig erscheint. Ich will verloren gehen. Gemeinsam mit denen, die wissen, wie man fällt. Und mit denen es sich jedes Mal gelohnt hat, wieder aufzustehen.

Danke, dass es euch gibt.

| going dark |

Sophia Mandelbaum. Ein Name, der irgendwann im Sommer zu mir kam. Ein Name, den ich brauchte, weil ich meinen eigenen so leid war. Sophia Mandelbaum war alles, was ich nicht sein konnte. Sie gab nie klare Antworten. Sie war die Richtige für schiefe Metaphern. Sie war schön, photoshopschön. Und sie schrieb ihren Schmerz und ihre Wut und jedes andere große Wort, das es eben brauchte, in die Welt hinaus, ganz egal, was diese Welt davon halten mochte, denn sie wusste, dass sie ohnehin nie dazu gehören würde. Dass sie nur in einem kleinen Zimmer Worte und Bilder zurechtschneiden und irgendwo in den Glasfaserkabeln nach einem Menschen suchen würde, einem Menschen, der sie retten könnte oder wenigstens lieben. Sophia Mandelbaum hat an Worte geglaubt, aber nicht an sich selbst. Immer, wenn es nicht weiter ging, kam ich hierher und erzählte Geschichten, verwischte Leerzeichen, sprang zwischen den Zeilen. Immer, wenn es nicht weiter ging, gab es hier jemanden, der zurück schrieb, der Satzanfänge mit Lächeln auffüllte. Mit allem, was ich erfunden habe, konnte ich hier ehrlich sein. Ich musste nicht funktionieren, nichts beweisen, ich habe mein Dunkel ausgelegt, mit der Halsschlagader nach oben, und ich hatte Glück: bislang wurde niemand verletzt.

05:24

Vor dem Fenster macht sich ein Vogel warm fürs erste Lied, während ich noch immer versuche, einzuschlafen, unterm Bett leuchtet der Wecker, ein nicht zu verfehlendes Gespenst. Als Kind habe ich im Traum versucht, die Geister in Stücke zu reißen, die mich verfolgten, bin hochgeschreckt, als jeder Fetzen sein eigenes, höhnisches Gesicht bekam und das Gelächter unerträglich polyphon wurde. Schon als Kind gab es kein Nervenkostüm in meiner Größe, schon als ich mit baumelnden Beinen an Kindergarten- und Grundschultischen saß, habe ich geahnt, dass das nichts wird mit der Normalität, nicht in diesem Leben. Eltern bringen einem nur bei, wie man in ihrer Welt überlebt, nicht in der richtigen. Ich übe ja, jeden Tag, ich übe mich darin, so zu tun, als sei auch für mich selbstverständlich, was alle anderen im Schlaf können: Schlafen, zum Beispiel. Aufstehen. Durchhalten. Nicht verzweifeln. Aber ich bleibe, was ich bin: ein Tier, das im Dunkeln lebt, in einem stillen Raum, und egal, wie ich ihn beschreibe, er wird dir fremd bleiben, denn dein Raum ist dort draußen, im Regen, im Wind. Auch wenn du dich dabei ertappst, das Gegenteil zu glauben: nichts an mir brächte dich zum Träumen. Ich bin ein blasser Nachtkurier, installiere ein Lächeln in meiner Stimme und flüstere ins Funkgerät, ohne zu wissen, wer zuhört, presse meine Stirn gegen den Bildschirm, als sei er eine kühlende Hand. Aus den Resten des Internets habe ich mir eine Stadt zusammen geklaubt, warme Worte auf mein Kleid genäht, ein Steppbett aus Sätzen, ein Kokon aus Nullen und Einsen. Ich lasse Zeilen durch meinen Körper wandern, falsche Namen, erfundene Träume. Ich verspreche, dass ich niemanden für eine Nacht suche, denn eine Nacht ist zu lang, um nicht entdeckt zu werden.