Wenn jemand stirbt, sieht man plötzlich klar, sieht scharf gestochen alles, was sich zuvor im Unterholz des Alltags verborgen hat. Jede Verwandtschaft, die nur auf dem Papier besteht, jede Freundschaft, die ihren Namen zu Recht trägt. Jeden heimlich gehegten Groll, jede Nachlässigkeit, jede uneingestandene Liebe, jede aufgeschobene Entscheidung.
Erst seit du fort bist, habe ich wirklich begriffen, wie gut du mich gekannt hast. Wie viel du von mir verstanden hast, vor allem das, was ich verschwiegen habe. Du hast mich mit allem gesehen, was ich so dringend verbergen wollte, du hast mir still und beharrlich bewiesen, dass genau das, dass genau diese Dunkelheit zu mir gehört, dass man sie lieben kann, weil Narben vor allem eins bedeuten: dass man gewonnen hat. Dass man überlebt hat, trotz und wegen allem. Du hast mich sichtbar gemacht, hast mir einen Platz in der Welt zugewiesen, ganz selbstverständlich, so wie du selbstverständlich warst, in deiner klugen Verwegenheit, deiner spitzbübischen Eleganz. Wie viel besser wäre ich gewesen, hätte ich dich ein Leben lang gekannt.
An schlechten Tagen ist alles klein neben der übergroßen Tatsache, dass du fort bist. An guten Tagen ist alles klein neben der Tatsache, dass ich es dich gab.