fuel to fire
Nachts auf dem Tempelhofer Feld: Das war Dunkelheit, die ihren Namen verdiente. Das winzige Lichtrund deiner Zigarette rettete niemanden. Im Tageslicht waren deine Worte noch weich und Weg gewesen, wir hatten rücklings auf deinem Bett gelegen, das Kinn in den Nacken gelegt, Blickrichtung Wolken; nachts brach der Weg plötzlich ab, genau dann, als ich mich unwiderruflich in dir verlaufen hatte. Der Wind brüllte, weil er kein Laub zusammenkehren konnte; trotzdem hörte ich über all den Lärm hinweg ein Knacken, als du etwas sagtest, das schwerer wog als Abschied; ich hörte es knacken, aber es konnte ja nicht dieses abgeschmackte Herz sein, es war also ein Gelenk, ein Vogelnacken, ein Himmel, der brach.
Es gibt Menschen, für die immer am schwersten wiegt, was der andere nicht ist. Mal war ich zu wenig leicht, mal zu wenig kompliziert, in jedem Fall aber zu wenig schön für, so sagt man wohl: jemanden wie dich. „Wie soll man Anziehung beschreiben“, sagtest du, deine schmalen Finger gestikulierten durch die Dunkelheit und ich dachte, „du beschreibst es doch gut: Schönheit ist, wo ich nicht bin.“ Schönheit war ein Ort, an dem du nie allein gewesen warst, an dem immer jemand neben dir hergegangen war, jemand, den du vielleicht noch nicht kanntest, von dem du aber sicher wusstest, dass ich es nicht war.
„Wenn du heute Nacht sterben müsstest“, sagt M. gegen kurz vor zwei, ich auf dem Küchenfußboden sitzend, an die erkaltete Heizung gelehnt, er einen Kontinent weiter mit seiner Bettdecke raschelnd, „welches Ungesagte würdest du am ehesten bereuen?“ Gesichter ziehen an mir vorbei, Menschen, die mich im Dunkel besuchten und mit hinausnehmen wollten, Hände, die ich aus meinen rutschen ließ, verständnislose Blicke, vor denen ich die Augen verschloss und in die Finsternis zurückkehrte. Und doch legte jede dieser Begegnungen etwas offen, wurde Riss, wurde Lichtstreifen, bereitete mich vor auf den Tag, an dem ich endlich hinaustreten würde aus dem stickigen Raum, den ich zu meiner Welt erklärt hatte.
Ich denke an A., die mir beigebracht hat, nicht mit der Schlaflosigkeit zu hadern, sondern das Dunkel zu durchwandern, mit einem warmen Mantel, mit Agnes Obel im Ohr, mit dem Lichtsmog über allem, mit den vereinzelten hellen Fenstern, hinter denen es Menschen gibt, denen man nichts erklären müsste. Ich denke an G., die mich jeden Tag zwei Mal im Krankenhaus besuchte, die mir wie einem Kind zuredete, um die bunten, kinderfingerdicken Tabletten erträglich zu machen; an R., von dem ich gelernt habe, dass jeder, der helfen will, verletzt worden ist. „Die Verletzten erkennen einander“, sagte er, und ich nickte, denn ich hatte ihn, diesen groß gewachsenen Psychologen mit seinem gütigen, pockennarbigen Gesicht, von Anfang an erkannt. Ich denke an T., an seine besorgten Fragen, an N., der mich mit seinen Geschichten hinausnahm, in die Berge, in den Regen, den Wind, bis ich stark genug war, um es auf meinen eigenen ersten Berg zu schaffen. Und wie stolz N. war, wie sehr er bei mir war, in meiner Freude über die Farben, die Weite, die Sicherheit des unbefestigten Pfads. Jede Begegnung richtete das Unmögliche an: Sie holte mich nicht zurück, denn ich hatte nicht gelebt; sie holte mich in eine neue, fremde Geschichte.
Genau das machte es so schwer, von dir Abschied zu nehmen: Die Worte waren nie behäbig zwischen uns zu Boden gesunken; sie hatten miteinander zu tanzen gewusst. „Ich kann dich lesen“, sagtest du erstaunt nach unserer ersten Begegnung, ungläubig angesichts der Geschichte, die zwischen uns zu wachsen begonnen hatte: Zunächst sorgsam behütet, bis sie dir plötzlich zu groß wurde, zu unkontrolliert, Farben kurz vor Verfall.