drama?

Ze Zurrealism Itzelf


| going dark |

Sophia Mandelbaum. Ein Name, der irgendwann im Sommer zu mir kam. Ein Name, den ich brauchte, weil ich meinen eigenen so leid war. Sophia Mandelbaum gab nie klare Antworten; sie war die Richtige für schiefe Metaphern. Sie war schön, photoshopschön, und sie schrieb ihren Schmerz, ihre Wut und all die anderen großen Worte, die es eben brauchte, in die Welt hinaus, ganz egal, was diese Welt davon halten mochte, denn sie wusste, dass sie ohnehin nie dazu gehören würde. Dass sie nur in einem kleinen Zimmer Worte und Bilder zurechtschneiden und irgendwo in den Glasfaserkabeln nach einem Menschen suchen würde, einem Menschen, der sie retten könnte oder wenigstens lieben. Sophia Mandelbaum hat an Worte geglaubt, aber nicht an sich selbst. Immer, wenn es nicht weiter ging, kam ich hierher und erzählte Geschichten, verwischte Leerzeichen, sprang zwischen den Zeilen. Immer, wenn es nicht weiter ging, gab es hier jemanden, der zurück schrieb, der Satzanfänge mit Lächeln auffüllte. Mit allem, was ich erfunden habe, konnte ich hier ehrlich sein. Ich musste nicht funktionieren und nichts beweisen, ich habe mein Dunkel ausgelegt, mit der Halsschlagader nach oben, und ich hatte Glück: Es wurde niemand verletzt.

An schlechten Tagen ist alles klein neben der übergroßen Tatsache, dass du fort bist. An guten Tagen ist alles klein neben der Tatsache, dass ich es dich gab.

Unterholz

Es hört ja nicht auf mit dem Sterben. Gehen wir zu Bett, stapeln sich Tote auf unseren Decken, schmiegen sich neben uns aufs Kissen. Sie bereiten den Boden, auf dem wir uns bewegen, ihre schlecht überstrichenen Hände und Arme sind Waschbecken. Handtuchhalter. Schuhlöffel. Diese Wohnung, dieses Haus ist so voll gestopft mit dem Wissen um deinen Tod, dass kaum noch Luft für mich bleibt. Dort draußen fällt alle paar Sekunden einer, mindestens, aber die anderen flöten „Das Leben muss weitergehen“ und „Das hätte er so gewollt“ und trampeln über seinen Körper, um eine Fernsehzeitschrift zu kaufen. Ein kühles Getränk. Der Tote ist zu schwach, um zu widersprechen, um die, die über ihn trampeln, am Bein, am Schuh zu packen, sein Schatten ruckt nur noch kurz, um seiner Pflicht zu genügen, diese Zeit ist nicht mehr seine, die Gegenwart gehört ihm nicht mehr, er kommt jetzt aus einer anderen Ära, und keine andere wird sich ihm öffnen. Er kann sich nicht ausweisen: Sein Name ist von ihm abgefallen und blutet auf dem Boden nach und nach seine Bedeutung aus. Wir glauben, dass wir die Trauer überstehen werden wie eine Grippe. Wir glauben, dass wir die Toten vergessen werden, die uns heiß und schwer in den Nacken atmen, in die Nase, die Mundhöhle hinein. Die Toten, die mit donnernden Schritten über den Nachthimmel ziehen, die ihr stummes Licht am Morgen über die Welt werfen, die zischend ins Lied des Wasserkessels einstimmen und heiser in das des Ventilators. Die den Handstaubsauger einschalten, das Gaspedal durchtreten, die Kupplung blockieren, das Herz eine Schrecksekunde lang zu laut, zu schwer schlagen lassen. Der Tote ist zu der Art von Bleiben verurteilt, in der man verschwinden muss. Er ist zum Zuhören verurteilt, wenn die Lebenden ihm Eigenschaften andichten, die er nie besessen hat. Er schrumpft zu einem einzigen Augenblick, an dem jeder herumdeuteln kann. Ihn auf seine halbherzigen Erinnerungen zuschneiden kann. Zur Beerdigung fallen wir noch einmal ein Stück zurück, berühren noch einmal, beinah, seine Hand, um dann wieder ins Helle abzukippen, über die eigenen Schmerzen, die eigenen Möglichkeiten zu grübeln, über eine Zukunft, die wichtiger sein muss als der Tote, weil es sie gibt.

05:24

Vor dem Fenster macht sich ein Vogel warm fürs erste Lied, während ich noch immer versuche, einzuschlafen, unterm Bett leuchtet der Wecker, ein nicht zu verfehlendes Gespenst. Als Kind habe ich im Traum versucht, die Geister in Stücke zu reißen, die mich verfolgten, bin hochgeschreckt, als jeder Fetzen sein eigenes, höhnisches Gesicht bekam und das Gelächter unerträglich polyphon wurde. Schon als Kind gab es kein Nervenkostüm in meiner Größe, schon als ich mit baumelnden Beinen an Kindergarten- und Grundschultischen saß, habe ich geahnt, dass das nichts wird mit der Normalität, nicht in diesem Leben. Eltern bringen einem nur bei, wie man in ihrer Welt überlebt, nicht in der richtigen. Ich übe ja, jeden Tag, ich übe mich darin, so zu tun, als sei auch für mich selbstverständlich, was alle anderen im Schlaf können: Schlafen, zum Beispiel. Aufstehen. Durchhalten. Nicht verzweifeln. Aber ich bleibe, was ich bin: ein Tier, das im Dunkeln lebt, in einem stillen Raum, und egal, wie ich ihn beschreibe, er wird dir fremd bleiben, denn dein Raum ist dort draußen, im Regen, im Wind. Auch wenn du dich dabei ertappst, das Gegenteil zu glauben: nichts an mir brächte dich zum Träumen. Ich bin ein blasser Nachtkurier, installiere ein Lächeln in meiner Stimme und flüstere ins Funkgerät, ohne zu wissen, wer zuhört, presse meine Stirn gegen den Bildschirm, als sei er eine kühlende Hand. Aus den Resten des Internets habe ich mir eine Stadt zusammen geklaubt, warme Worte auf mein Kleid genäht, ein Steppbett aus Sätzen, ein Kokon aus Nullen und Einsen. Ich lasse Zeilen durch meinen Körper wandern, falsche Namen, erfundene Träume. Ich verspreche, dass ich niemanden für eine Nacht suche, denn eine Nacht ist zu lang, um nicht entdeckt zu werden.