Ihr Herznasen,
ab heute gibt’s monatlich einen Text von mir bei Ocelot - dem Blog zum wunderbar(st)en neuen Buchladen Berlins. Der eröffnet übrigens am 9. Juni, kommt vorbei und feiert mit! :)
Stell dir einen Kinosaal vor, in dem es niemanden gibt außer uns. Die Tiefe der Stille zwischen jedem Geräusch. Das Draußen bleibt, wo es hin gehört. Wir sitzen vorn, die Arme verschränkt, unsere Köpfe aneinander gelehnt, ein Versuch von Feuer. Lichtschnüre zu unseren Füßen und die Wände entlang, wir könnten für immer hier sitzen, denke ich, was war, wird nie aufhören, irgendwo platzen die immer selben Wunden auf, aber irgendwo öffnet sich auch immer etwas gen Morgen, irgendwo ereignet sich etwas, ereignen wir uns.
Das hier ist Zukunft, in der ich weiß, dass ich alles schon mitgebracht habe, dass alles in mir eingeschrieben war. Wen ich lieben, an wem ich verzweifeln würde. Was ich zu sagen, zu schreiben hätte. Ein Stück Zukunft, in dem mir niemand näher sein konnte als du.
Die Lektion sterbender Menschen bleibt immer gleich. Wer stirbt, hat begriffen, dass es nichts weiter braucht, als das Meer zu sehen, ein letztes, ein bewusstes Mal zu tanzen, zu küssen, im Glück unter zu gehen. Wer stirbt, erzählt den Lebenden davon, damit sie nicht den gleichen Fehler machen. Aber sie machen ihn trotzdem. Vielleicht brauchen wir es deswegen noch immer, dieses Sterben.
Und dann sitzen wir auf einer Hippiedecke, auf der Brücke, von der aus man die Stadt überblickt, Mojitos und Karten und Haare im Wind, und dann stolpert diese alte Frau uns entgegen und bleibt ruckartig stehen. Auf dem Rückweg ins betreute Wohnen, sagt sie, die Worte wollen nicht mehr so recht, nicht mehr so klar, weil sie den Nachmittagsausgang dazu genutzt hat, sich zu betrinken. Schön fände sie das, mit uns, sagt sie, weil sie sich vom Lachen täuschen lässt, unbeschwert, sagt sie, weil sie Lauras vernarbtes Gesicht nur von hinten sieht, weil sie nicht sehen kann, wie sehr Mel ihren Körper hassen gelernt hat und in wie vielen Kliniken ich darum gekämpft habe, heute noch am Leben zu sein. Sie sieht uns so, wie sie es braucht, um sich selbst bedauern zu können, sie sieht in uns ein Glück, das sie glaubt, nie gekannt zu haben. Mein Vater ist früh gestorben, sagt sie und wartet auf unsere Beileidsbekundungen und ich denke, das ist nicht dein ärgstes Problem, dein Problem ist, dass du nichts mehr hast, als dich an Samstagnachmittagen so zu betrinken, dass du nur noch torkeln und davon reden kannst, dass wir es auch mal schwer haben werden, dass wir daran denken sollen, jetzt schon, aber verdammt noch mal, an diesem Ort, den du uns an den Hals wünschst, sind wir längst gewesen.
Du kannst es nicht zustopfen, dieses Leck, egal, was du versuchst, Essen hilft nicht, so wie Hungern nicht geholfen hat, nicht einmal Menschen helfen, nicht einmal dieser eine Mensch, auf den alle warten, ohne Ausnahme. Du weißt noch immer nicht, wie das gehen soll, mit dem Leben, wie das gehen soll, Dinge hin zu kriegen. Einer von den Normalen zu werden. Du stellst dir Kinder vor, lichthelle Wohnungen, gefüllte Münder und Konten. Und dagegen du, zwischen den Kissen versunken, mit deinem Schlaflosgesicht, mit deiner mühsamen Arbeit am Wort, weil du nichts anderes kannst. Die Fremde spricht sich dir zu.
Du weißt, dass du dem Gestern adieu sagen musst, aber die Straße legt sich nicht warm unter die Füße und die Stimmen von gestern sitzen dir im Genick, die Stimmen von heute, die selbst im Lachen ernst bleiben, weil sie auf das nächste “zu spät” warten, das nächste, noch unsichtbare Stück Schmerz, und das, was unsichtbar ist, macht immer am meisten Angst, unzählige Geister können davon Geschichten erzählen, lang gezogene Geschichten. während sie kalt in deine Haare atmen. Vielleicht essen Gespenster Äpfel am liebsten, das Knallen von Fruchtfleisch, Furchtfleisch im Mittelohr, und du hältst es für Kanonenlärm, du bist noch immer im Krieg.
Trink auf dich. Trink auf uns. To the lost.
Ich altere unter Wasser, vom Stuhl nebenan tropft dein zornblau gefrorenes Wort, eine leuchtende Signalspur im Mittelohr. Mit dir zu leben, heißt im Exil zu atmen. Ich war der Zufall, der dir gelegen kam; du warst mein Platz zum Schlafen.
Ich altere unter Wasser, bislang bin ich ein halb ausgereifter Charakter, ein nachlässiges Spiel mit Jetztzeit. Mein Puls pocht zu langsam, aber da ist immer noch ein Druckimpuls, die Tonart für Aufbruch. Heute pumpt mein Herz dich mit letzter Kraft auf Abstand. Ich werde das Versprechen von Freude einlösen, mit irgendwem wird es Glück geben, Waldluft, in der Morgen wurzelt, mit irgendwem wird der Schlamm von gestern von den Füßen fallen. Mit irgendwem werde ich vorwärts gehen und zuletzt, vielleicht, furchtlos sein.
Und dann kommt der Moment, in dem die Selbstschutzmaschine, die schon auf Autopilot lief, noch ein, zwei Mal knattert und dann wird es still, dann pocht nur noch mein Herzschlag ins Ohr, zu schnell und zu blass sieht es aus, hier, am Ende des Tages. Der Blicksuchdurchlauf strandet an der Notfalltasche, dem kleinen Rucksack voller Dinge, die man braucht, wenn man sich nicht vergeben kann. Alles spielt nur noch die Rolle der anderen, die Rolle derer, die nachts nicht zerfetzt werden vom Gefühl, dass es vielleicht kein Morgen mehr gibt, dass dieser Körper endgültig zu müde ist, um ein weiteres Mal aufzustehen und in einen Tag zu gehen, der sich nicht lohnen wird, weil ich nicht dort bin, wo ich sein will. Weil niemand neben mir aufwachen wird, weil mich niemand an den Menschen erinnert, der ich gern geworden wäre. (Der Traum vom gelingenden Leben ist mein Lieblingssymptom.) Das ist der Moment, in dem ich in jedes fremde Gesicht auf der Straße schreien möchte, nimm mich mit, hol mich heim, wo auch immer das sein mag.
und was, wenn ich immer noch wissen will, was du tust. und wie du es tust. wo du hin willst. wir haben uns verändert, aber wir sind immer noch internetmädchen, mit schönen fotos, die wir vorzeigen, und angst im bauch, die wir vorzeigen, aber nicht so, dass man uns verstehen könnte, wirklich verstehen. vieles ist anders und besser geworden, aber ich falle immer noch, weißt du, ich atme immer noch in diesem körper, der in regelmäßigen abständen SOS pulst und dann liege ich in meinem bett am rand der welt und versuche, mich zu erinnern, dass ich immer wieder aufgestanden bin. dass es weiter ging. ich will dir sagen, dass du mich so verdammt beeindruckt hast, mit allem, was du bist. mit deinem trotz, deiner wut und deiner freude. ich will nicht, dass du das aufgibst. ich weiß, dass du dich durchbeißen kannst, wenn du zornig genug bist. und ich will dich irgendwann mal oben sehen, in irgendeinem scheinwerferlicht, und dann will ich sagen, dass ich dich kannte. von anfang an.
Dieser Abend ist nicht von ungefähr. Wir messen uns an Sommerregen: Reagenzblick und Wiesenzirkulation. Wir rutschen Kiefernintervalle entlang, ein schnell vergessener Verlust in den Knien. Über uns touren Eulen, wir schleichen an dunklen Liedern vorbei, dein Atem im Schlaf schmeckt nach Äpfeln. Waldnächte bedeuten uns Gott und der Morgen hievt sich nur für uns aus dem Schlick. Maulwurfshelden und die Mindesthaltbarkeit von Mücken, Waldpilzessenz und erdige Fingerkuppen: mit der ersten Post stellen wir euch Fuchsmomente zu .
Aus dritter Ehe deiner Adjektive entstand das Wort „unversucht“.
Rorschachtest auf dem Wasser:
ein halb volles Glas Enten,
eine Ahnung von Fisch zwischen Blättern und
das lang gezogene Schweigen von Ästen.
Es ist, als spannte sich Nebel unter den Wellen,
das Glitzern von oben bloß stilles Alibi.
Der Himmel ist wüstenblau und die Stadt ausgesperrt,
erst eine Welt weiter legt sich Lachen ins Ohr,
wird mein Knie Startbahn für Schmetterlinge.
Wenn du nicht nein sagst, wird es dein Körper tun. Unter meiner Bauchdecke strampeln noch immer die Wörter von gestern und jeder Tag trägt ein neues Stück Dunkel empor, einen neuen Notruf ins Blaue. (Nichts vernarbt, nie.)
Zweifel sind Ureinwohner in meinem Kopf; sie behaupten, dass ich nichts so gut kann wie enttäuschen. Mit jedem kranken Jahr sinkt die Chance auf Heilung. Unversehrt sein, die neue und alte Unmöglichkeit. Frisch geschorene Gedanken am Morgen: Ich stelle mir vor, wie sich Müdigkeit auf deiner Haut ablagert, wie du versuchst, deine Augenringe auszuwaschen. Wie du dich unter deinem Auto vergraben wirst, als gäbe es dort den Himmel zu sehen.
Das Heimweh nach Schutz erstickt jeden Raum. Meine Kraft habe ich für Sorgen verbraucht, in schlecht beleuchteten Nächten und an klebrigen Tagen. Vielleicht habe ich alles genommen, was du zu geben hast. Vielleicht bin ich Vampir geworden. Vielleicht fühle ich mich jedem unterlegen, der lebt.
Als hätten wir schon immer hier gelegen, als wäre jede dunkelste Stunde nur ein Warten auf dich gewesen, jede Suchbewegung ein Hin zu dir, ich möchte in den Jahren zurück gehen und mich erinnern, dass es hell wird, da hinten, dass da mehr auf mich wartet, als nach unten zu wachsen.
Dieser Tag schwimmt hinaus, um zurück zu kommen, wenn du nicht damit rechnest. Benenn ihn nach allem, was du vergessen wirst. Greif dir ein paar raue Erinnerungen, ein paar Antworten auf Fragen, die du nicht hören willst. Denk sie nach oben, nach draußen, in die dämmernde Luft. Und hol sie nicht zurück.
Als hätte ich schon immer hier neben dir gelegen, in diesem Zimmer, diesem Raumvolumen Herz, als hätte ich schon immer gewusst, dass ich in deinem Gesicht jede Falte, jedes Runzeln wachsen sehen will, dass meine Hand in deine gehört, dass ich an deinen Schultern heimwärts lehne.
Über allem Trauern den Moment verpassen, wenn die Wunde bereit ist, im weichen Gewebe des Bauches unterzugehen. Platz zu machen. Über allem Schmerz von gestern vergessen, dass Dinge besser geworden sind. Über allem gerettet werden wollen nicht einsehen, dass es dafür zu spät ist. Im besten Sinn.
Nur ein paar stille Tage, seufzt du und lügst. Du willst nicht ohne die Gewissheit sein, dass es nur ein Fingerschnippen, ein paar getippte, geflüsterte Worte dafür braucht, dass etwas zerstört wird. Dass du zerstörst.
Verletzen, um wenigstens der erste zu sein, weil jeder betrügen muss, wenn die Karten gezinkt sind. Du glaubst, dass das nicht aufhört, mit dem verlassen werden, mit dem enttäuscht werden, und begreifst nicht, dass du längst die Seiten gewechselt hast. (Die Regel liebe deinen Nächsten wie dich selbst gilt genauso für Verachtung.)
Im Moment, wo etwas knackt in deinen Knochen, im Moment, wo sich die erste Störung im Herzschlag manifestiert, in diesem Moment fängst du mit dem Begreifen an. Verschluckst dich ein letztes Mal an der Wunde, die immer noch Wirklichkeit ist, auch wenn es keine Waffe mehr gibt.
Du setzt deinen Fingerabdruck auch unter diese Nacht, unter jede Stunde, die dir die Augen zuhält, du lässt es geschehen, atmest durch, lässt es dir in Ruhe richtig schlecht gehen. Du nimmst noch eine Pause von dem, was du dir schuldig bist. Es ist an dir, das Herz dieses Tages auszutauschen. Es ist an dir, wütend zu sein, wütend auf jeden Moment, in dem du es dir zu leicht gemacht hast. Vielleicht trägst du schwer im Warten auf eine Rückkehr. Vielleicht willst du zurückspulen ins Gestern, aber Gestern ist das, was dich krank gemacht hat. Der einzige, der zurück kehren muss, ist der Traum, der dich an dich erinnert.
Those were the days. Lass sie doch liegen, sagst du, sie liegen da gut, aber ich kann es nicht lassen, will sauber getrennten Gefühlsmüll recyceln, da ist noch eine Ahnung, ein unverdautes Stück Enttäuschung, ein Restschmerz, in dem ich schön sein kann. (Kennt sich jeder im Leid am besten?)
Hinter der Stirn hat Medusa Zweifel ausgelegt, sie graben sich in meinen Blick, ich könnte nicht gut genug bleiben. Augenschattennächte hebeln die Wirklichkeit aus, diese ungeschmückte Welt, in der ich um Fassung ringen muss, jeden verdammten Tag.
Manchmal kann ich es noch, dann schlüpfe ich aus meiner Haut in deine, kopple meine Finger aus, öffne Herzventile - ein Herzkammerkonzert, das ich für dich gebe, für niemanden sonst. Mit dem Bass verdampft die Angst, ich sehe Medusa ins erstbeste Puppengesicht. Ihre Plastikgebärde und mein Sprung ins Fragment. Da schmeckt was neu auf der Zunge, ich begreife: Medusa zieht keinen Hut vorm Leben, sie hungert es aus. Da ist ein Fluchtpunkt an deinem Hals, ich lege meine Hand auf deinen Leberfleck und schwöre darauf, dieser Morgen ist Lichtopiat, das hier ist ein Alphamoment, es ist Zeit, dass das Gestern in Flammen aufgeht. Destroy, I say!
findet da ein Kribbeln statt zwischen uns,
sag, sind wir Passanten
oder sprechen wir uns einen Schritt
nach vorn?
zwischen uns ist Wetter, schlohweiß
legt es sich über die Wärme
deiner möglichen Briefe.
Fußspuren einer Fotografie: dein Sepiablick,
deine ungekämmten Augen, grobkörniger Gruß
und Morgen: ein stumpfes Gefühl.
sag, sind wir Passanten?
deine Sternzeichen nehmen sich verdammt vage aus
und dein Lachen klingt irgendwie
ökumenisch.
einen Anfang vorausgesetzt -
wann werden wir Archivgeräusch sein?
Man wird allein nicht heil. Man setzt sich nicht mit einer Tasse Tee auf eine Wiese und ist froh mit sich selbst. Das Pochen und Schaben deines Atems im Schlaf braucht ein Gegenüber, braucht ein leises Schnaufen, braucht einen Arm, der sich um deine Schultern schiebt. Die Möbiusschleife Schmerz lässt sich unterbrechen, wenn jemand dazwischen geht, sein Herz ins Spiel bringt.
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Wir haben lang genug gekämpft, sagst du und wirfst die Kanonenhandbücher nach oben, in die Luft. Wir desertieren von der Vergangenheit. Im Grunde sind wir Pazifisten, rufen wir den Gespenstern von gestern zu, und wenn wir wegrennen, dann nur Hand in Hand.
Ich bin dein Soldatenmädchen, ich singe, wenn du nicht schlafen kannst. Um dem zu entgehen, fällst du in den Schlaf wie in einen Abgrund. (Die schönsten Träume entstehen immer aus Notwehr.) Unter der Decke, mit dir, wird es hell. Ein paar Hand voll Wand, ein paar Reste Tapete, die Sternbilder deiner Muttermale, das reicht mir als Welt.
Uns umschnurren Moleküle, keine Streifschüsse mehr, die letzte, die beste Waffe bleibt das Wort. Wir werden auf den Händen zu euch kommen, die Füße in den Regen gestreckt. Zwischen jeder Zeile werden unsere Augen empor lugen. Wir sprengen uns durch eure Rippen, mitten ins Herz.
Ich bin also die, die ihr Herz zu oft den Falschen in die Hand gedrückt hat, damit sie es mitnehmen, an einen besseren Ort. Die gute Tage in großen Stücken schluckt, damit es länger warm bleibt im Magen.
Die, die dir dazwischen kommt. Die dich mit dem Mund angeht.
Die Geschichte, von der es zu viele Fassungen gibt. Die Fremde, zu der man nicht gehört, weil sie zu hartnäckig beim Verzweifeln ist. Die Witzfigur, die alle paar Wochen zu Boden geht und von Notfallmedizinern neue Diagnosen geschenkt bekommt. Die nicht oben schwimmen kann, weil sie zu lange unter Wasser geatmet hat.
Die so sehr ein Zuhause braucht, dass niemand es ihr geben kann. Die nicht weiß, wie das gehen soll, sich dem Leben aussetzen. Deren Gesicht aus Zucker ist; es verschwindet im Regen.
http://www.youtube.com/watch?v=zTGXUC5ul6Y