Das Leben hier ist eine Folge von Zeitsprüngen, atemlos werden Momente nachgeholt, keine Begründungen. Betrunken den Kopf in den Fahrtwind schieben; die ersten Seiten des neuen Buchs beschwören herauf, worauf ich gewartet habe. Der erste kalte Abend nimmt uns als Verbündete: gemeinsam atmen wir weiß. Der Tag wird neue Farben haben und die Musik hört auf, Abfolge von Einsamkeiten zu sein. Die Vorstellung von dir in egal welcher Ferne zerfetzt. Dass es einen Moment gäbe, in dem ich keine Fragen mehr stellen kann. Keine Geschenke mehr für dich ausdenken kann, keine Namen, keine Kuchenmomente - dass es keinen Möglichkeitsraum mehr gäbe für unsere Freude. Fürs Erste müssen morgen und gestern bleiben, was sie sind: eine Rekonstruktion, eine Lüge. Fürs Erste weiß man von mir nichts weiter, als dass ich in deinen Armen eingeschlafen bin.
Als hätten wir nie gelernt, miteinander zu sprechen, die Fremd-Worte zwischen uns fallen schwer von der Zunge, starren uns vom Boden aus an, verständnislos. (Vielleicht habe ich deinen Namen so oft ausgesprochen, dass er müde geworden ist.) Draußen, flügelschlagend: eine höhnische Spatzenkolonne, statt Musik der Beginn eines Erstickens, ich weiß nicht mehr, wie das geht mit dem Atmen, mit allem, mit uns. Da war doch mal Wärme, da war keine Stelle, an der es uns noch nicht gab. Unsere Freundschaft: ein Ort, wo wir nichts erklären mussten. Ein Heimatort, ein Ort gegen die Welt, und jetzt nur noch müder Trailer von gestern, grobkörnig aufgelöst.
Wir sind ökonomisch geworden, wir denken in Kategorien von Pflicht und Investition. Es gibt kein Ziel mehr, das alles aufwiegt, nur die Frage, welchen Preis wir zu zahlen bereit sind, für eine schrumpfende Handvoll gemeinsamer Nenner. (Da kommt etwas Neues, würde ein Muttermund sagen, und was, wenn das Neue, das sich auftut, nur Leere ist?) Ausatmen: Schlussmarkierung. Ich sag dir leise adieu, vielleicht hörst du es dann nicht, vielleicht höre ich es dann nicht, vielleicht ist es dann nicht wahr.
Unter meiner Bauchdecke strampeln Wörter in Milchkaffee; zu unserer Sprache zählt das Verpuppen in Büchern und Mägen. Hinter uns liegt die erste Nacht, wir haben uns abgewechselt mit dem Aufschrecken, alle ein, zwei Stunden, mit dem schlaftrunkenen Griff nach der Hand des anderen. Wir haben uns damit abgewechselt, nicht glauben zu können, dass wir jetzt zu zweit sind, so richtig, mit Namen am Klingelschild, mit Kräuterkindern auf dem Balkon, wir haben uns abgewechselt mit dem Wissen, dass wir uns dafür entschieden haben, nicht mehr zurück zu können.
Scheiß auf Lebensabschnittpartner, wir schneiden uns nichts mehr ab, wir fangen jetzt an, mit unseren Mandelmusmündern, unseren Croissantkrümelhänden, wir schlagen mit den Flügeln, mit uns kommt der Sommer in die Stadt und hält sich freihändig.
“Mein Leben besteht von jeher aus Versuchen zu schreiben, und meist aus mißlungenen. Schrieb ich aber nicht, dann lag ich auch schon auf dem Boden, wert hinausgekehrt zu werden. Nun waren meine Kräfte seit jeher jämmerlich klein und so ergab es sich doch, daß ich auf allen Seiten sparen, überall mir ein wenig entgehen lassen müsse, um für das, was mir mein Hauptzweck schien, eine zur Not ausreichende Kraft zu haben. Wo ich es nicht selbst tat, wurde ich zurückgedrängt, geschädigt, beschämt, für immer geschwächt, aber gerade dieses, was mich für Augenblicke unglücklich machte, hat mir im Laufe der Zeit Vertrauen gegeben und ich fing zu glauben an, daß da irgendwo ein guter Stern sein müsse, unter dem man weiterleben könne.”
Aus: Kafkas Briefe an Felice, S.65
Generatoren schrieb:
“Könntest Du das Licht hier umstellen. Schon so lange berichtest Du vom Dunklen im vergehenden Jetzt, da sollte doch all das, was dichter am Jetzt ist, heller sein.”
Es war ein Text von gestern, aber sie ist noch hier, diese bleierne Unfähigkeit, zur Ruhe zu kommen. Es ist nicht wahr, dass man nur die Geister der Toten sieht. An schlechten Tagen erkenne ich sie in jedem Mienenfeld, im schlecht gelaunten Gesicht eines Bauarbeiters, im Lachen eines Kindes. Ungezählte Male hab ich sie in Flammen in mir aufgehen lassen, aber Geister sind immer neu uniformiert, sie pochen durch Brust und Bauch und kein Abschied kann mächtig genug sein.
Aber ja, es gibt dieses Jetzt, es gibt Wiesen und Spree und die Hand des Herzmenschen, mit meiner verschränkt, es gibt mehlbestäubte Stühle und klebrige Kekse, es gibt das Staunen über die neue Stadt, über wunderbaren Lärm und plötzliche Stille, Sternschnappschüsse und Frühstückskakao, Sommerwhiskey und Sushialgorithmen, es gibt ein Warten auf Schneealleen und Eisgärten, es gibt Buchfluchten und schnurrende Nachbarskatzen, es gibt Konzerte und das Gefühl, dass da jetzt etwas zu heilen beginnt, dass das mit dem Leben jetzt anfangen kann, nach all den Verzweiflungsjahren.
Im schlaflos sein bleibt es dunkel, bleibt das Gefühl, nicht genug zu sein für den Glücksfördertopf Berlin, vielleicht auch für (m)ein Leben, ganz generell, und was im Leben nicht Bestand haben kann, wird Gespenst, ruhelos.
Ich weiß nicht mehr, wie viele Anfänge es gab, in meinem Kopf, in Treppenaufgängen, in Zügen und Flugzeugen, in Seminarräumen und Supermärkten, und jedes Mal sperrte sich etwas, kam ich nicht weiter, verwarf ich den Brief, den ich längst hätte schreiben müssen.
Ich durchsuche mich nach einem Vermissen, aber es ist bloß merkwürdig taub. Vielleicht wollte ich dich nicht wirklich kennen lernen, vielleicht wollte ich nur dieses Bild von dir in der Ferne, dieses Bild, das von Leerstellen zusammen gehalten wurde, dieses Bild, dem die Welt nichts anhaben konnte.
Wie oft bin ich mit deinen Briefen in der Hand durch meine Stadt gelaufen, deine Schrift mischte sich in Straßen und Wolken, in deinen Briefen bin ich sicher gewesen, und mit jedem Mal, wenn wir uns begegnet sind, habe ich ein bisschen Nähe verloren, ein bisschen Ehrfurcht vor dir. Du warst nicht der, für den ich dich gehalten, oder besser: den ich mir zurecht gedacht hatte.
Du bist der Einzige, mit dem ich je wirklich gestritten habe, mit dem es tief und böse wurde, und ich weiß bis heute nicht, ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen war. Über sieben Jahre haben wir gekämpft, gegen- und füreinander. Und auch wenn sich das Gestern nicht abstreifen lässt, glaube ich, dass es das wert ist, dass wir das wert sind, es nochmal miteinander zu versuchen.
Der Horizont pulst notfallblau und jedes Wort hängt wie einbetoniert unter der Zunge, ich bringe nichts heraus, als sei ich gerade aus der Ursuppe gekrochen und könnte nichts außer essen und kämpfen. Alles an mir ist entzündet, von den Augen bis zu den Haarwurzeln, ich will mir den Kopf abscheren, aber der Junge ist dagegen. Der Feind sitzt in dir, sagt er, du kannst ihn nicht wegschneiden; sein Mund steht schief und ich wische mir unter trockenem Himmel eine Handvoll Regen aus dem Gesicht. […]
“Da will etwas heil werden, und sei es auf Kosten unserer selbst.”
Ein Essay zum Haus der Erinnerung - in der Berliner Gazette.
there’s a thought that can save your life.
Ihr Herznasen,
ab heute gibt’s monatlich einen Text von mir bei Ocelot - dem Blog zum wunderbar(st)en neuen Buchladen Berlins. Der eröffnet übrigens am 9. Juni, kommt vorbei und feiert mit! :)
Stell dir einen Kinosaal vor, in dem es niemanden gibt außer uns. Die Tiefe der Stille zwischen jedem Geräusch. Das Draußen bleibt, wo es hin gehört. Wir sitzen vorn, die Arme verschränkt, unsere Köpfe aneinander gelehnt, ein Versuch von Feuer. Lichtschnüre zu unseren Füßen und die Wände entlang, wir könnten für immer hier sitzen, denke ich, was war, wird nie aufhören, irgendwo platzen die immer selben Wunden auf, aber irgendwo öffnet sich auch immer etwas gen Morgen, irgendwo ereignet sich etwas, ereignen wir uns.
Das hier ist Zukunft, in der ich weiß, dass ich alles schon mitgebracht habe, dass alles in mir eingeschrieben war. Wen ich lieben, an wem ich verzweifeln würde. Was ich zu sagen, zu schreiben hätte. Ein Stück Zukunft, in dem mir niemand näher sein konnte als du.
Die Lektion sterbender Menschen bleibt immer gleich. Wer stirbt, hat begriffen, dass es nichts weiter braucht, als das Meer zu sehen, ein letztes, ein bewusstes Mal zu tanzen, zu küssen, im Glück unter zu gehen. Wer stirbt, erzählt den Lebenden davon, damit sie nicht den gleichen Fehler machen. Aber sie machen ihn trotzdem. Vielleicht brauchen wir es deswegen noch immer, dieses Sterben.
Und dann sitzen wir auf einer Hippiedecke, auf der Brücke, von der aus man die Stadt überblickt, Mojitos und Karten und Haare im Wind, und dann stolpert diese alte Frau uns entgegen und bleibt ruckartig stehen. Auf dem Rückweg ins betreute Wohnen, sagt sie, die Worte wollen nicht mehr so recht, nicht mehr so klar, weil sie den Nachmittagsausgang dazu genutzt hat, sich zu betrinken. Schön fände sie das, mit uns, sagt sie, weil sie sich vom Lachen täuschen lässt, unbeschwert, sagt sie, weil sie Lauras vernarbtes Gesicht nur von hinten sieht, weil sie nicht sehen kann, wie sehr Mel ihren Körper hassen gelernt hat und in wie vielen Kliniken ich darum gekämpft habe, heute noch am Leben zu sein. Sie sieht uns so, wie sie es braucht, um sich selbst bedauern zu können, sie sieht in uns ein Glück, das sie glaubt, nie gekannt zu haben. Mein Vater ist früh gestorben, sagt sie und wartet auf unsere Beileidsbekundungen und ich denke, das ist nicht dein ärgstes Problem, dein Problem ist, dass du nichts mehr hast, als dich an Samstagnachmittagen so zu betrinken, dass du nur noch torkeln und davon reden kannst, dass wir es auch mal schwer haben werden, dass wir daran denken sollen, jetzt schon, aber verdammt noch mal, an diesem Ort, den du uns an den Hals wünschst, sind wir längst gewesen.
Du kannst es nicht zustopfen, dieses Leck, egal, was du versuchst, Essen hilft nicht, so wie Hungern nicht geholfen hat, nicht einmal Menschen helfen, nicht einmal dieser eine Mensch, auf den alle warten, ohne Ausnahme. Du weißt noch immer nicht, wie das gehen soll, mit dem Leben, wie das gehen soll, Dinge hin zu kriegen. Einer von den Normalen zu werden. Du stellst dir Kinder vor, lichthelle Wohnungen, gefüllte Münder und Konten. Und dagegen du, zwischen den Kissen versunken, mit deinem Schlaflosgesicht, mit deiner mühsamen Arbeit am Wort, weil du nichts anderes kannst. Die Fremde spricht sich dir zu.
Du weißt, dass du dem Gestern adieu sagen musst, aber die Straße legt sich nicht warm unter die Füße und die Stimmen von gestern sitzen dir im Genick, die Stimmen von heute, die selbst im Lachen ernst bleiben, weil sie auf das nächste “zu spät” warten, das nächste, noch unsichtbare Stück Schmerz, und das, was unsichtbar ist, macht immer am meisten Angst, unzählige Geister können davon Geschichten erzählen, lang gezogene Geschichten. während sie kalt in deine Haare atmen. Vielleicht essen Gespenster Äpfel am liebsten, das Knallen von Fruchtfleisch, Furchtfleisch im Mittelohr, und du hältst es für Kanonenlärm, du bist noch immer im Krieg.
Trink auf dich. Trink auf uns. To the lost.
Ich altere unter Wasser, vom Stuhl nebenan tropft dein zornblau gefrorenes Wort, eine leuchtende Signalspur im Mittelohr. Mit dir zu leben, heißt im Exil zu atmen. Ich war der Zufall, der dir gelegen kam; du warst mein Platz zum Schlafen.
Ich altere unter Wasser, bislang bin ich ein halb ausgereifter Charakter, ein nachlässiges Spiel mit Jetztzeit. Mein Puls pocht zu langsam, aber da ist immer noch ein Druckimpuls, die Tonart für Aufbruch. Heute pumpt mein Herz dich mit letzter Kraft auf Abstand. Ich werde das Versprechen von Freude einlösen, mit irgendwem wird es Glück geben, Waldluft, in der Morgen wurzelt, mit irgendwem wird der Schlamm von gestern von den Füßen fallen. Mit irgendwem werde ich vorwärts gehen und zuletzt, vielleicht, furchtlos sein.
Und dann kommt der Moment, in dem die Selbstschutzmaschine, die schon auf Autopilot lief, noch ein, zwei Mal knattert und dann wird es still, dann pocht nur noch mein Herzschlag ins Ohr, zu schnell und zu blass sieht es aus, hier, am Ende des Tages. Der Blicksuchdurchlauf strandet an der Notfalltasche, dem kleinen Rucksack voller Dinge, die man braucht, wenn man sich nicht vergeben kann. Alles spielt nur noch die Rolle der anderen, die Rolle derer, die nachts nicht zerfetzt werden vom Gefühl, dass es vielleicht kein Morgen mehr gibt, dass dieser Körper endgültig zu müde ist, um ein weiteres Mal aufzustehen und in einen Tag zu gehen, der sich nicht lohnen wird, weil ich nicht dort bin, wo ich sein will. Weil niemand neben mir aufwachen wird, weil mich niemand an den Menschen erinnert, der ich gern geworden wäre. (Der Traum vom gelingenden Leben ist mein Lieblingssymptom.) Das ist der Moment, in dem ich in jedes fremde Gesicht auf der Straße schreien möchte, nimm mich mit, hol mich heim, wo auch immer das sein mag.
und was, wenn ich immer noch wissen will, was du tust. und wie du es tust. wo du hin willst. wir haben uns verändert, aber wir sind immer noch internetmädchen, mit schönen fotos, die wir vorzeigen, und angst im bauch, die wir vorzeigen, aber nicht so, dass man uns verstehen könnte, wirklich verstehen. vieles ist anders und besser geworden, aber ich falle immer noch, weißt du, ich atme immer noch in diesem körper, der in regelmäßigen abständen SOS pulst und dann liege ich in meinem bett am rand der welt und versuche, mich zu erinnern, dass ich immer wieder aufgestanden bin. dass es weiter ging. ich will dir sagen, dass du mich so verdammt beeindruckt hast, mit allem, was du bist. mit deinem trotz, deiner wut und deiner freude. ich will nicht, dass du das aufgibst. ich weiß, dass du dich durchbeißen kannst, wenn du zornig genug bist. und ich will dich irgendwann mal oben sehen, in irgendeinem scheinwerferlicht, und dann will ich sagen, dass ich dich kannte. von anfang an.
Aus dritter Ehe deiner Adjektive entstand das Wort „unversucht“.
Rorschachtest auf dem Wasser:
ein halb volles Glas Enten,
eine Ahnung von Fisch zwischen Blättern und
das lang gezogene Schweigen von Ästen.
Es ist, als spannte sich Nebel unter den Wellen,
das Glitzern von oben bloß stilles Alibi.
Der Himmel ist wüstenblau und die Stadt ausgesperrt,
erst eine Welt weiter legt sich Lachen ins Ohr,
wird mein Knie Startbahn für Schmetterlinge.
Wenn du nicht nein sagst, wird es dein Körper tun. Unter meiner Bauchdecke strampeln noch immer die Wörter von gestern und jeder Tag trägt ein neues Stück Dunkel empor, einen neuen Notruf ins Blaue. (Nichts vernarbt, nie.)
Zweifel sind Ureinwohner in meinem Kopf; sie behaupten, dass ich nichts so gut kann wie enttäuschen. Mit jedem kranken Jahr sinkt die Chance auf Heilung. Unversehrt sein, die neue und alte Unmöglichkeit. Frisch geschorene Gedanken am Morgen: Ich stelle mir vor, wie sich Müdigkeit auf deiner Haut ablagert, wie du versuchst, deine Augenringe auszuwaschen. Wie du dich unter deinem Auto vergraben wirst, als gäbe es dort den Himmel zu sehen.
Das Heimweh nach Schutz erstickt jeden Raum. Meine Kraft habe ich für Sorgen verbraucht, in schlecht beleuchteten Nächten und an klebrigen Tagen. Vielleicht habe ich alles genommen, was du zu geben hast. Vielleicht bin ich Vampir geworden. Vielleicht fühle ich mich jedem unterlegen, der lebt.