Version vom 26.01.2013


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post 401945101608 crawl-Datum: 26.01.2013 rss Internet ArchiveArs memoria Mein Vater war von der Klinik überzeugt, kaum dass wir die Eingangshalle betreten hatten - ihm stach nämlich das kostenlos zugängliche Schuhputzgerät ins Auge. Mich persönlich sprach zum Einen die schnieke Blondine hinter der Rezeption an, zum Anderen (und vor Allem) das stylische Internet-Terminal mit den Weltzeituhren darüber - Berlin, Tokio, New York. (Dabei waren wir doch in der norddeutschen Provinz!) Mein Zimmer war eigentlich für Privatpatienten vorgesehen und dementsprechend à la Hotel aufgemacht, von der Sitzecke mit Polsterstühlen, eigener Dusche und WC (Hinfort mit den psychiatrischen Zeiten! Viererzimmer? Gemeinschaftsbad? Weichet von mir!) bis zu den niedlichen Schokoladentäfelchen auf dem Kopfkissen; abends gab es mehr als eine Sorte Brot und die Mitpatienten konnten in ganzen Sätzen sprechen. Anfangs regte ich mich über die wehleidigen Vierzehnjährigen auf, die behaupteten, seit ihrer Kindheit keine Entspannung mehr zu kennen. Über Lara, die ihr Schnarchen während der Imaginationsübungen beharrlich als Trance bezeichnete und behauptete, der Stift, den sie mir geklaut hatte, gehöre eigentlich ihr. (“Aber da ist doch mein Name eingraviert!” - “Ja UND?!”) Über die Krankenschwestern, die behaupteten, meine dunklen Augenränder hätte ich mir aus Geltungssucht nur aufgemalt. Über Doktor Birk, der Selbsthilfebücher schrieb und uns der Verkaufszahlen zuliebe einreden wollte, dass er einer von uns wäre. Er erzählte, dass während seiner Urlaube oft die Aussicht aufs Meer getrübt sei, weil die Fenster vom Salzwasserwind verschmutzt würden, und er deshalb immer ein Fläschchen Essigreiniger dabei habe, so wie die Seele ab und zu ein bisschen Essigreiniger bräuchte, um das Schöne wieder ungetrübt sehen zu können. Die besten Strategien gegen alles seien Dankbarkeit (etwa die Dankbarkeit, Birks Bücher nicht gekauft zu haben), und Entspannungsübungen, in jeder Situation (vielleicht auch bei Waldbränden). Aber ich hatte noch nicht Synke kennen gelernt, eine muntere Adipöse, die mir ganz entspannt erklärte, dass der Amoklauf von Winnenden sie kein Stück mitgenommen habe, denn das sei schlecht vorbereitete und stümperhaft ausgeführte Arbeit gewesen. Sie selbst könne niemals Amok laufen, fügte sie hinzu - sie sei einfach zu perfektionistisch. Synke arbeitete in der Pathologie und wollte mir auch gleich ein paar hübsche Anekdötchen erzählen, etwa, warum ein menschliches Auge so schwer zu zerschneiden ist. Synke gehörte auch zur Zunft der Nachwuchsschriftsteller - die Lektüre ihrer jüngsten Kurzgeschichte, in der eine Frau zersäbelt und später als Hackfleisch verkauft wird, vermied ich meinem Magen zuliebe. Ihr Kommentar zu meiner LiebeundKummerprosa: “Du bist schon ziemlich destruktiv drauf, oder?”


post 398796503266 crawl-Datum: 26.01.2013 rss Internet Archive38,2° Ich weiß ja, Sehnsucht steht uns besser als Heimat. Im Suchen kennen wir die Wege blind, müssen wir nirgendwo ankommen. Das Gute am Fiebern ist, dass nichts geplant werden muss, dass eine Weile lang Stille im Kopf herrscht und Platz macht, fürs Begreifen. Dass die Sorgen dieselben geblieben sind, aber dass ich ganz leise nebenher gewachsen bin. Dass aus dem bleichen, stummen Mädchen eine Wortsammlerin geworden ist, eine, die laut und dreckig lachen kann. Die beinah selbstverständlich aus dem Haus geht, die Zug fährt, in Flugzeuge steigen kann, und das Meer sehen. (Manchmal ist es, als hätte ich früher keine Farben gekannt.) Glück ist mir noch immer zu abstrakt, ich atme noch immer nur auf Verdacht, aber am Reißbrett Horizont sind trotzdem rote Fäden gespannt, scheint die Möglichkeit auf, dass es mehr für mich geben könnte als Herztrigger und Angstkarriere. Das Haus von damals steht noch; es bedeutet noch immer zu viel, und es gibt immer was zu überwinden - aber es gibt auch Sicherheit, die nachwächst. Weil heute nicht mehr nach Ersatz schmecken muss. Weil heute kein Mund mehr fehlt, den ich küssen will. Wer krank ist, braucht nichts zu lernen, braucht sich nicht zu interessieren; das eigene Innere wirft schon zu viele Fragen auf. Ich würde gern zurück, dem Mädchen von vor zehn Jahren über den Kopf streichen, und sagen: Bis später, wenn dein Leben ein anderes ist. Bilddank an kayruhe.


post 3899028166713 crawl-Datum: 26.01.2013 rss Internet Archiveopen mike 012 Hier läuft es auf Schummrigkeit hinaus und darauf, dass alle da sind. Es läuft darauf hinaus, zu rauchen. Es läuft darauf hinaus, dass alle viele Gedanken und Gefühle haben. Es läuft auf Applaus hinaus und dass ich nicht dabei sein will. Während die Jury offenbart, wer dieses Jahr für wertvoll befunden wurde, will ich Absperrband um meinen Körper wickeln. Das hier ist zu viel, zu laut; das hier steht mir bis zum Hals. [bei ocelot weiter lesen]


post 387437890204 crawl-Datum: 26.01.2013 rss Internet ArchiveLamettasturm Es ist ja nicht so, dass niemand auf den Straßen wäre, da gibt es die gut Bemützten, die alternden Paare und Eltern, mit rastlosen Gesichtern, erschöpft vom Geschenkrausch, die entlang der dunklen Eingänge taumeln. Jetzt ist alles dicht, alles zu, letzte Glühweinbecher stehen verwaist auf den Tischen des Weihnachtsmarkts, der jetzt Geisterstadt ist; die Krippenfiguren lehnen nach vorn, als wollten sie fallen, mitten aufs regennasse Pflaster. Von oben blinken Lichter, Schneemanngerippe am Ku’damm, mit leeren Warenkörben. Wirklich trostlos wird es erst, wenn man nichts mehr besorgen, sich nicht mehr ablenken kann. Blinkende Schneemänner, LED-Tropfen an den Bäumen, keine einzige ausgefallene Birne in den Lichterketten, alles funktioniert, alles hält sich aufrecht, falls doch noch jemand darauf schaut, falls einer nachprüft, ob auch nach Ladenschluss Haltung bewahrt wird. Vor der Restwärme der Läden kauern die Betüteten, fleckige Plastiktüten voller Hab und Gut, fast schon obligatorische Krücken, die Erinnerung an Amputation. Graue Gesichter, Fledermausaugen, die sich nicht aufhellen bei den mageren Eurostücken, die in ihre Kaffeebecher fallen. Sie ernten die Gehetzten ab, die Gehetzten, die Löwenköpfen in Restaurants zustreben, ihren Reservierungen, den 75 % auf Pelz nachspüren, den weihnachtsreduzierten Hundejäckchen. Sie ernten, aber es hat keine Bedeutung, für keinen von ihnen. Es ist zu warm, zu warm für diesen Tag, aber mir bleibt kalt unter drei Kleiderschichten. Mit jeder verstreichenden Viertelstunde wird das Licht gedimmt, herunter gedreht, jetzt ist offiziell deklarierte Familienzeit, wer jetzt noch draußen ist, ist Verlorener, und für Verlorene gibt es keine Lichtspiele, keinen Lamettasturm, hier gibt es nichts zu sehen: bitte gehen Sie weiter. Bilddank an Thomas Wilson.


post 371178959206 crawl-Datum: 26.01.2013 rss Internet Archivedein Kleingedrucktes lesen Der Größe der Wohnung nach zu urteilen, muss sie noch sehr jung sein. Die schlecht tapezierten Wände gehen auf dich; die Fenster ein Querverweis: eine gemischte Tüte Wetter. Du steigst blinzelnd aus dem Schlaf und ich weiß nicht, ob das Freude bedeutet oder ob du nicht glauben willst, dass ich noch hier bin. Wir kennen uns, sage ich leise, wir kennen uns vom letzten wachen Atemzug gestern Nacht. Deine Augen traumschmal: du sagst guten Morgen, ohne zu lächeln. Der Tag ist schon voraus gegangen; deine Haare stehen so trocken vom Kopf ab, als wären sie lang nicht mehr gegossen worden. Die Füße wie Koffer vom Bett schwingen; auf dem Boden die erste Tasse Frost. Ein romantisches Wort wäre immerhin vorstellbar, ich denk es mir in deinen Mund, in dein grobkörniges Gesicht. Zu Weihnachten könnten wir uns Emotionsprothesen schenken. Wenn es uns dann noch gibt. Vorerst frühstücken wir, auf der Suche nach einem Vorwortgefühl; ich steche der Butter als erster ins Herz. Unberührt: die Kartografie von Erdbeeren, pockennarbiges Rot und Puderzuckerdünung. Auf deinem Teller formiert sich ein Heer aus Krümeln; manchmal denke ich: ich muss immer etwas wegschieben, selbst wenn es nur Kaffeetassen sind. Egal, mit wem, man ist niemals mit allem versorgt; wenn das Elend von draußen fehlt, kommt eben eins von innen nach. Das verschwindet nicht einfach, die Überzeugung, dass nichts wirklich gut werden kann; vielleicht gibt es Stellen am Körper, die zu berühren bedeutet, entzwei zu gehen. Du drehst die Musik auf; von unten pocht eine, die noch mit Türspion und Filztischtüchern lebt, mit Sonntagstorte als Weltordnung; wir polieren statt Geschirr nur unsere Wünsche nach, sie schimmern im Slalom auf deinem Gesicht, und all das hilft nur marginal gegen Wahrscheinlichkeiten. Bilddank an Teresa Queiros.


post 343581808496 crawl-Datum: 26.01.2013 rss Internet ArchiveIch schlafe im Gehen ein Stück; es ist, als wäre um mich herum Berlin untergegangen, die Autodächer... Ich schlafe im Gehen ein Stück; es ist, als wäre um mich herum Berlin untergegangen, die Autodächer in Blättern ertränkt, jeder Gedanke in Goldlaub erstickt. Vielleicht bin ich von einem zum nächsten Schatten gereist, auf der Suche nach einem Zweitort, Fluchtort, und hatte ich einen gefunden, blieb er ungenutzt. Damit ich daran glauben konnte, aufgehoben zu sein. Vielleicht war ich Milchschaummensch, bleich und süß und immer kurz vorm Verschwinden. Ein Umriss, pathologisches Vokabular, ein Leben in Herzsätzen, auserzählter Verzweiflung. Das Schicksal zwingt dich nicht, tapfer zu sein, das musst du immer noch selbst schaffen. Dem Krieg in dir nicht den Krieg erklären, sondern alles mitnehmen, alles, was du bist, in der Tasche geschultert, weil es ohnehin immer bei dir sein wird. Wenn du beginnst, deine Angst anzuerkennen, wird sie eines Tages ihren Hut nehmen. Weil ihr genug voneinander gelernt habt. Ich mochte das, Steppenwolf sein, die notorisch Unverstandene, ich mochte das, im Schreiben die Welt nachzuzeichnen, die in mir auf Grund gelaufen war. Ich wollte diese Müdigkeit nicht, die von außen kommt, von schlecht riechenden, schlecht gelaunten Menschen, von überstündigen Tagen. Ich wollte nur meine Müdigkeit, die von innen aufsteigt; ich war mir Feind genug. Ich reichte völlig aus, damit es mir schlecht ging. Wer ernstlich krank ist, lernt, zu simulieren, am Bildrand zu bleiben; es wird immer jemanden geben, der glaubt, dass hier Rettung vonnöten wäre. Detailermittlung im Herz: den Drang niederringen, dich anzurufen. Ich würde sagen, es geht nicht ohne dich, und du würdest verstehen, so, wie du immer verstanden hast. Ich würde den Preis dafür bezahlen, von dir gefunden worden zu sein. Wir würden uns in Geborgenheit sprechen, Gefühlsgang rückwärts, aber das wäre nicht jetzt, denn jetzt ist es, als würde ich dich nicht mehr kennen.


post 3316983426713 crawl-Datum: 26.01.2013 rss Internet ArchiveMit noch verschlafenen Augen an den Ort fahren, wo wir uns zuletzt begegnet sind. Als wäre etwas... Mit noch verschlafenen Augen an den Ort fahren, wo wir uns zuletzt begegnet sind. Als wäre etwas eingefroren, als würdest du noch immer dort am Bahnsteig stehen, mit diesem verunsicherten Lächeln. Als ob du mich nicht glauben könntest. Zuletzt waren wir Sommer, jetzt gibt es gelbe Blätter und Kastanien; ich sitze neben Tabakresten und der letzten Weinflasche der Saison, den Blick auf Passanten gerichtet. Jeden, der suchend zwischen den Ausgängen pendelt, will ich mit deinem Namen ansprechen. Neuerdings brennen meine Augen beim Weinen, die Zusammensetzung der Tränenflüssigkeit habe sich verändert, sagte der Arzt, und ich frage mich, was du sonst noch verändert hast. Die Eisfrau hat Freizeit und telefoniert; die letzten Wespen prallen gegen ihr verwaistes Stück Kuchen. Auf den Touristenbooten stapeln sich Plastikstühle; die Enten tragen Herbstgrau und drehen ab, als sie erkennen, dass von mir nichts zu erwarten ist. Der Rasen wird für die kalten Tage kurz geschoren; kurz vor eiskalt stehe ich auf, schaue mich immer wieder um, bis die Bahn sich mit mir in Bewegung setzt. Ich muss mich noch daran gewöhnen, dass jetzt die Zeit ohne dich beginnt; eine Zeit, die zeigen muss, wer wir füreinander wirklich waren. Und sind.


post 3287055804713 crawl-Datum: 26.01.2013 rss Internet Archivewe both know I’ll never be your lover I only bring the heat, company under cover, filling... we both know I’ll never be your lover I only bring the heat, company under cover, filling space in your sheets.* Vielleicht sind wir in der Küche, knallen Salz und Pfeffer auf den Boden, presst sich der Tisch hart gegen mich. Schweißsplitter über unseren Gesichtern, in unseren Händen, die einfach tun, einfach handeln und greife. Ich bin irgendwo weit oben, keine Ahnung, wo er geblieben ist. Zuletzt werden wir doch nur wieder zwei Klumpen Fleisch, die aneinander prallen, eine Abfolge klatschender Geräusche. Ich schieb mir die nassen Strähnen aus dem Gesicht, sein Rücken: ein Striemengeheimnis. Vielleicht habe ich chemische Formeln hinein gekratzt, eine Formel für Unglück. Und von draußen der Quecksilbermond, metallischer Zungenbelag und dieses schrecklich gescheckte Plumeau. Vielleicht bin ich giftig, flüstere ich ihm ins Ohr, sein Seufzen verliert sich kurz vor dem Boden. Später: ein singendes Stechen, eine einzige Signalgebung; ich stelle mir vor, dass bei jedem Schmerzintervall LED-Leuchten aufscheinen, mein Körper ein Lichtgewitter in der Dunkelheit des Zimmers. Der neue Tag wird ein déjà-vu sein, eine Folge von Pflichten, die keine sind. Keuchen mischt sich ins Atmen, ein zu schneller Loop, ich weiß nicht mehr, ob Leben oder Sterben Angst macht, aber fest steht, wer auch immer bei mir ist, darf nicht mehr weg gehen. Heute Nacht gehört mein Körper dem, der als erster danach greift; deine Chance, sage ich in sein Schnarchen hinein, deine Chance und irgendwas erreicht ihn im Traum; er runzelt die Stirn und dreht sich weg. * lyrics: Daughter, Candles


post 3234166848621 crawl-Datum: 26.01.2013 rss Internet Archive26/09 Ich steige aus der Bahn, dein Rücken verschwimmt, geht unter in der Menge und ich denke, es könnte alles auch ganz anders sein, eine neue Hand könnte nach meiner greifen und ich würde mit jemand anderem weiter gehen. Manchmal will ich in Bahnhöfen leben, an Orten, die es nicht wirklich gibt, wo all die kleinen Dinge nicht existieren, die Decken und Kissen, die Platten und Briefe, all die Dinge, die nur scheinbar Halt geben. Es bräuchte Bahnhöfe mit Schwimmbädern: die letzten Reste vom Ich abduschen und unter Wasser neue Regeln aufstellen. Aber heute gibt es Berlin, gibt es Kurortstimmung in Friedrichshagen. Maßgeschneiderte Dinkelkuchen und Wollkostüme. Haustierreiki, Luftkristallfilter und mediale Vermittlung: Hier ist Raum für alle Überflüssigkeiten, selbst die Wespen wollen nur spielen. Wir tasten uns verschnörkelte Häuserfronten entlang, hier ist doch vor Allem Seewasser mit Möwen darauf, die ungerührt im weichen Wind schaukeln. Neben uns Berliner, die sogenannten richtigen, die auch kein anderes, besonderes Bier trinken. Auch die richtigen Berliner schauen auf den Müggelberg, als läge am anderen Ufer etwas Großes. Trockenlegung der Blätter auf dem Boden, erste Kastanien wie aufgespießt daneben, ich lese in deinen Fußabdrücken, als wäre das unser erster Herbst. Die Enten starren, eine brotlose Kunst. Ich werfe meine Schuhe in die Luft; vielleicht ist mir der Himmel früher nicht aufgefallen, dieses überschäumende Weiß vor Blau, dieser Kugelflausch am Horizont, mit dem ich um die Wette rennen will. Aus dem Stand in die größtmögliche Geschwindigkeit: die Entfernung zwischen dir und mir kurzschließen. Ich könnte nichts mehr wollen, die Schmauchspuren der Flugzeuge würden nichts bedeuten als Elefanten im Steigflug, vertraute Unmöglichkeit. Das war vielleicht der letzte warme Tag, sagst du, der letzte warme Tag, ehe wir uns in einem Wort zusammen rollen, für den Winter.


post 3211846121330 crawl-Datum: 26.01.2013 rss Internet ArchiveAch, Hildesheim. Als ich hier anfing, sah ich aus wie ein Junge, bleich und langhaarig und an den falschen Stellen zu dünn. Ich stakste durchs Studentenwohnheim, behindertengerecht nannten sie das, dass der dunkle Flur sich ohne Treppen nach oben schraubt, eine Mischung aus Jugendherberge und Science-Fiction aus den Fünfzigern. Ich saß in der Uni und lernte, dass man nachmittags ruhig den ersten Sekt aufmachen kann und Luftgitarren ein ernst zu nehmendes Seminarthema darstellen. Das hier hätten doch Leute wie ich sein sollen, stille Stubenhocker, und dabei ging es mit dem Saufen, dem Lautsein erst los, ich saß mit Notizbuch und großen Augen in Kellern, auf Dachböden und in Seminarräumen; hätte es einen Panikknopf gegeben, ich hätte ihn nicht loslassen können. Dieses Herzrasen, als es anfing mit dem Texte vorlesen, den Kopf zwischen den Schultern nach unten geschraubt. Als es damit anfing, sich ernst zu nehmen für das, was man tut. Das Schreiben zum ersten Mal „Arbeit“ nennen. In Hildesheim zu studieren, war, wie in Therapie zu sein. „Wie lange bist du schon hier?“ „Wie lange musst du noch?“ „Was macht dieser Text emotional mit dir?“ Manche waren vorher schon krank gewesen, manche wurden es erst, und an manchen schienst du abzuprallen: sie fläzten sich auf deinen Wiesen, stapften unverdrossen durch deinen Regen, mit ihren Hipsterjeans und Ballettschühchen, mit offenen Haaren und Hemden. Deine Ureinwohner sind Alte, die aufs Sterben warten oder Teenager mit Zahnspangen, die sich prügeln wollen, dazwischen gibt es nichts, nichts als Studenten, die verzweifelt versuchen, sich nicht zugehörig zu fühlen und in irgendeinem Supermarkt frisches Gemüse zu finden. Alles hier schaut abgestanden aus, ich musste Kassiererinnen erklären, was Basilikum ist und hätte mich danach gern betrunken, ein weiteres Mal. Ich litt an dir wie ein Hund und bekam Carepakete, von Freunden und Fremden, ich habe in meinem Wohnheimzimmer eindeutig zu viele Jungs geküsst und zu wenige Mädchen. Ich habe ein Menschenleben gerettet und das einer Ente nicht retten können, die deine Einheimischen umgebracht und gegrillt haben, Hildesheim, an deinem beschaulichen See, wo immer mal wieder ein Betrunkener untergeht; bescheidene Holzkreuze erzählen von René oder André, während nebenan Kopfsprünge geübt werden. Wer die schlimmste Vorstellung von Provinz mit seinem Alter malnimmt, der weiß, wie es hier aussieht. Es läuft sich, es denkt sich wie durch Sirup durch deine Straßen und Tage und ich habe mich dafür gehasst, genau das zu brauchen, diese ins Minus gedrehte Geschwindigkeit. Ich brauchte diese drei Jahre, in denen ich lachen und weinen lernte, in denen ich aus dieser unsäglichen Taubheit klettern lernte, die mich ausgefranst hatte. Du zwingst zur Nähe, Hildesheim, du zwingst zu ausgiebigsten Tee- und Bierstunden in WG-Küchen, weil deine Cafés, deine Clubs ihre Namen nicht verdienen. Aus Verbündeten gegen dich werden Freunde, man liegt sich hier rekordschnell in den Armen, jedes Stück Wärme wird geschluckt, damit es sich im Magen hält, auf dem Heimweg. Hinter mir liegen drei Jahre voller guter, tiefer Gespräche, eine Tiefe, die ich in Berlin erst suchen muss, weil das hier nicht so leicht ist, in fremde Küchen zu dürfen, in den allernächsten Raum, weil man hier Mittel- und Knotenpunkte sucht, Zwischenorte, an Haltestellen gelegen. Man wird dir nicht gerecht, Hildesheim, weil man sich an dir aufreibt, dich hassen muss und trotzdem an dir gesund wird. Und es braucht Berlin nicht, weil da alle hingehen und immer noch glauben, bei ihnen wäre das neu. Es braucht Berlin, weil ich ein Zuhause brauche, Hildesheim, und dafür taugst du einfach nicht. Ich lasse zentimeterweise Haar zurück, eine Handvoll Illusionen und die Gewissheit, dass du alles verändert hast. Hab es gut, Hildesheim. Danke für alles.


post 2825859618218 crawl-Datum: 26.01.2013 rss Internet ArchiveWir fragen nur, damit es nicht still wird. Als hätten wir nie gelernt, miteinander zu sprechen, die Fremd-Worte zwischen uns fallen schwer von der Zunge, starren uns vom Boden aus an, verständnislos. (Vielleicht habe ich deinen Namen so oft ausgesprochen, dass er müde geworden ist.) Draußen, flügelschlagend: eine höhnische Spatzenkolonne, statt Musik der Beginn eines Erstickens, ich weiß nicht mehr, wie das geht mit dem Atmen, mit allem, mit uns. Da war doch mal Wärme, da war keine Stelle, an der es uns noch nicht gab. Unsere Freundschaft: ein Ort, wo wir nichts erklären mussten. Ein Heimatort, ein Ort gegen die Welt, und jetzt nur noch müder Trailer von gestern, grobkörnig aufgelöst. Wir sind ökonomisch geworden, wir denken in Kategorien von Pflicht und Investition. Es gibt kein Ziel mehr, das alles aufwiegt, nur die Frage, welchen Preis wir zu zahlen bereit sind, für eine schrumpfende Handvoll gemeinsamer Nenner. (Da kommt etwas Neues, würde ein Muttermund sagen, und was, wenn das Neue, das sich auftut, nur Leere ist?) Ausatmen: Schlussmarkierung. Ich sag dir leise adieu, vielleicht hörst du es dann nicht, vielleicht höre ich es dann nicht, vielleicht ist es dann nicht wahr. Bilddank an tranquility.


post 271362192189 crawl-Datum: 26.01.2013 rss Internet ArchiveUnter meiner Bauchdecke strampeln Wörter in Milchkaffee; zu unserer Sprache zählt das Verpuppen in... Unter meiner Bauchdecke strampeln Wörter in Milchkaffee; zu unserer Sprache zählt das Verpuppen in Büchern und Mägen. Hinter uns liegt die erste Nacht, wir haben uns abgewechselt mit dem Aufschrecken, alle ein, zwei Stunden, mit dem schlaftrunkenen Griff nach der Hand des anderen. Wir haben uns damit abgewechselt, nicht glauben zu können, dass wir jetzt zu zweit sind, so richtig, mit Namen am Klingelschild, mit Kräuterkindern auf dem Balkon, wir haben uns abgewechselt mit dem Wissen, dass wir uns dafür entschieden haben, nicht mehr zurück zu können. Scheiß auf Lebensabschnittpartner, wir schneiden uns nichts mehr ab, wir fangen jetzt an, mit unseren Mandelmusmündern, unseren Croissantkrümelhänden, wir schlagen mit den Flügeln, mit uns kommt der Sommer in die Stadt und hält sich freihändig.


post 2656803394614 crawl-Datum: 26.01.2013 rss Internet Archive“Mein Leben besteht von jeher aus Versuchen zu schreiben, und meist aus mißlungenen. Schrieb... “Mein Leben besteht von jeher aus Versuchen zu schreiben, und meist aus mißlungenen. Schrieb ich aber nicht, dann lag ich auch schon auf dem Boden, wert hinausgekehrt zu werden. Nun waren meine Kräfte seit jeher jämmerlich klein und so ergab es sich doch, daß ich auf allen Seiten sparen, überall mir ein wenig entgehen lassen müsse, um für das, was mir mein Hauptzweck schien, eine zur Not ausreichende Kraft zu haben. Wo ich es nicht selbst tat, wurde ich zurückgedrängt, geschädigt, beschämt, für immer geschwächt, aber gerade dieses, was mich für Augenblicke unglücklich machte, hat mir im Laufe der Zeit Vertrauen gegeben und ich fing zu glauben an, daß da irgendwo ein guter Stern sein müsse, unter dem man weiterleben könne.” Aus: Kafkas Briefe an Felice, S.65


post 257073623024 crawl-Datum: 26.01.2013 rss Internet Archive“Da will etwas heil werden, und sei es auf Kosten unserer selbst.” Ein Essay zum Haus... “Da will etwas heil werden, und sei es auf Kosten unserer selbst.” Ein Essay zum Haus der Erinnerung - in der Berliner Gazette. Bilddank an Oskar Schuster.


post 243316034864 crawl-Datum: 26.01.2013 rss Internet Archivethere’s a thought that can save your life. there’s a thought that can save your life.


post 2401207699616 crawl-Datum: 26.01.2013 rss Internet ArchiveLichtwechsel. Stell dir einen Kinosaal vor, in dem es niemanden gibt außer uns. Die Tiefe der Stille zwischen jedem Geräusch. Das Draußen bleibt, wo es hin gehört. Wir sitzen vorn, die Arme verschränkt, unsere Köpfe aneinander gelehnt, ein Versuch von Feuer. Lichtschnüre zu unseren Füßen und die Wände entlang, wir könnten für immer hier sitzen, denke ich, was war, wird nie aufhören, irgendwo platzen die immer selben Wunden auf, aber irgendwo öffnet sich auch immer etwas gen Morgen, irgendwo ereignet sich etwas, ereignen wir uns. Das hier ist Zukunft, in der ich weiß, dass ich alles schon mitgebracht habe, dass alles in mir eingeschrieben war. Wen ich lieben, an wem ich verzweifeln würde. Was ich zu sagen, zu schreiben hätte. Ein Stück Zukunft, in dem mir niemand näher sein konnte als du. Bilddank an tons of land.


post 2388775517614 crawl-Datum: 26.01.2013 rss Internet ArchiveDie Lektion sterbender Menschen bleibt immer gleich. Wer stirbt, hat begriffen, dass es nichts... Die Lektion sterbender Menschen bleibt immer gleich. Wer stirbt, hat begriffen, dass es nichts weiter braucht, als das Meer zu sehen, als ein letztes, ein bewusstes Mal zu tanzen, zu küssen. Wer stirbt, erzählt den Lebenden davon, damit sie nicht den gleichen Fehler machen. Aber sie machen ihn trotzdem. Vielleicht brauchen wir es deswegen noch immer, dieses Sterben. Bilddank an nothingpersonal.


post 220606877845 crawl-Datum: 26.01.2013 rss Internet Archiveto the lost. Du kannst es nicht zustopfen, dieses Leck, egal, was du versuchst, Essen hilft nicht, so wie Hungern nicht geholfen hat, nicht einmal Menschen helfen, nicht einmal dieser eine Mensch, auf den alle warten, ohne Ausnahme. Du weißt noch immer nicht, wie das gehen soll, mit dem Leben, wie das gehen soll, Dinge hin zu kriegen. Einer von den Normalen zu werden. Du stellst dir Kinder vor, lichthelle Wohnungen, gefüllte Münder und Konten. Und dagegen du, zwischen den Kissen versunken, mit deinem Schlaflosgesicht, mit deiner mühsamen Arbeit am Wort, weil du nichts anderes kannst. Die Fremde spricht sich dir zu. Du weißt, dass du dem Gestern adieu sagen musst, aber die Straße legt sich nicht warm unter die Füße und die Stimmen von gestern sitzen dir im Genick, die Stimmen von heute, die selbst im Lachen ernst bleiben, weil sie auf das nächste “zu spät” warten, das nächste, noch unsichtbare Stück Schmerz, und das, was unsichtbar ist, macht immer am meisten Angst, unzählige Geister können davon Geschichten erzählen, lang gezogene Geschichten. während sie kalt in deine Haare atmen. Vielleicht essen Gespenster Äpfel am liebsten, das Knallen von Fruchtfleisch, Furchtfleisch im Mittelohr, und du hältst es für Kanonenlärm, du bist noch immer im Krieg. Trink auf dich. Trink auf uns. To the lost. Bilddank an jitt.


post 213835189286 crawl-Datum: 26.01.2013 rss Internet ArchiveIch altere unter Wasser, vom Stuhl nebenan tropft dein zornblau gefrorenes Wort, eine leuchtende... Ich altere unter Wasser, vom Stuhl nebenan tropft dein zornblau gefrorenes Wort, eine leuchtende Signalspur im Mittelohr. Mit dir zu leben, heißt im Exil zu atmen. Ich war der Zufall, der dir gelegen kam; du warst mein Platz zum Schlafen. Ich altere unter Wasser, bislang bin ich ein halb ausgereifter Charakter, ein nachlässiges Spiel mit Jetztzeit. Mein Puls pocht zu langsam, aber da ist immer noch ein Druckimpuls, die Tonart für Aufbruch. Heute pumpt mein Herz dich mit letzter Kraft auf Abstand. Ich werde das Versprechen von Freude einlösen, mit irgendwem wird es Glück geben, Waldluft, in der Morgen wurzelt, mit irgendwem wird der Schlamm von gestern von den Füßen fallen. Mit irgendwem werde ich vorwärts gehen und zuletzt, vielleicht, furchtlos sein. Bilddank an Mikaylah Bowman.


post 2102647087013 crawl-Datum: 26.01.2013 rss Internet ArchiveUnd dann kommt der Moment, in dem die Selbstschutzmaschine, die schon auf Autopilot lief, noch ein,... Und dann kommt der Moment, in dem die Selbstschutzmaschine, die schon auf Autopilot lief, noch ein, zwei Mal knattert und dann wird es still, dann pocht nur noch mein Herzschlag ins Ohr, zu schnell und zu blass sieht es aus, hier, am Ende des Tages. Der Blicksuchdurchlauf strandet an der Notfalltasche, dem kleinen Rucksack voller Dinge, die man braucht, wenn man sich nicht vergeben kann. Alles spielt nur noch die Rolle der anderen, die Rolle derer, die nachts nicht zerfetzt werden vom Gefühl, dass es vielleicht kein Morgen mehr gibt, dass dieser Körper endgültig zu müde ist, um ein weiteres Mal aufzustehen und in einen Tag zu gehen, der sich nicht lohnen wird, weil ich nicht dort bin, wo ich sein will. Weil niemand neben mir aufwachen wird, weil mich niemand an den Menschen erinnert, der ich gern geworden wäre. (Der Traum vom gelingenden Leben ist mein Lieblingssymptom.) Das ist der Moment, in dem ich in jedes fremde Gesicht auf der Straße schreien möchte, nimm mich mit, hol mich heim, wo auch immer das sein mag. Bilddank an liquid meth.