Gibst du mir ein Wort? >>

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Das erste Wort nach dem Schweigen ist wahr. Der Spiegel malt kein Gesicht, das mir lieb wäre und die Stimme übt müde Klimmzüge im Hals; mein Körper spielt Stellungskrieg. Ich will meine Füße wie Koffer aus dem Bett, aus dieser Stadt schwingen, aber es gibt keine Gründe und keine Alternative. Ich bin nie gut im Bleiben gewesen; vielleicht muss ich jetzt damit anfangen.
Ich weiß nicht, welche Absicht meinen Körper gekreuzt hat, aber: ich bin davon gekommen, ein weiteres Mal. Jetzt braucht es nur ein paar Hände voll Schlaf und ein Zurückfinden in die Gewissheit, dass noch ein Morgen aussteht. Konstantin Stanislawski sagt, es gibt keinen idealen Körper, man muss ihn sich erarbeiten – vielleicht gilt das auch für das Herz.

Notfallherz

Auf dem rosa Zettel steht „Notfall“, deswegen soll ich nicht mit den anderen fernsehen und Automatenwasser trinken, sondern auf einer Trage liegen, dem Aufnahmetresen gegenüber, in Blickweite. Weißes Papierknistern zwischen dem harten Polster und mir, Hygienevorschrift. In dieses Knistern lege ich mich, versuche, unauffällig zu atmen, als sei ich Kind und presste mich auf einen Feldboden, gefallen in einem Krieg ohne Waffen.
Die anderen werden nach und nach aufgerufen, ein Lokalgangster mit angeschossener Hand, ein kleines Mädchen mit blau geprügelten Augen, eine dicke Mutter mit noch dickerem Sohn und Magenschmerzen. Neben mir sammeln sich weitere Tragen. Festgeschnallte alte Menschen, Faltengesichter und schreiverzerrte Münder. Krankenschwestern verteilen Spritzen und barsche Worte; währenddessen schlägt mein Herz, mein Notfallherz, immer schneller und nimmt mir die Luft. Ich kann keinen Notruf abgeben, weil dafür die Luftnot zu groß ist und ich frage mich, ob es das jetzt war. Ob ich in der Sterilität eines Krankenhauses sterbe, ohne etwas zurück zu lassen, das bleibt. Immerhin: ich weine, also lebe ich noch.
Die Ärztin, die schließlich auftaucht, ist klein und pummlig, sie fragt, ob ich eine Patientenverfügung hätte oder einen Organspendeausweis und lässt mich dann auf meiner Trage in ein Dreierzimmer rollen, die Pfleger sind gesichtslos vor meinem Tränenvorhang und legen Kabelverbindungen zu piepsenden Monitoren, Monitoren, die auf mich aufpassen sollen, weil ich das offensichtlich nicht mehr kann.
Der restliche Tag unterteilt sich in Blutentnahmen, die Pflasterreste an Armen, Händen und Füßen sehen wie Vereisungen aus, eine davon herzförmig: ein Ballonherz an einer Schnur. Die zwei Frauen neben mir fallen sich gegenseitig ins Wort - wenn sie nicht von Königsfamilien sprechen, dann von Einsamkeit. Ich versuche, mir einzureden, dass das Plätschern in ihren Urinbeuteln wie ein Bach klingt und dass ihr Erbrechen vorm Frühstück nur gesund sein kann; der Toast ist ohnehin kalt und hart wie das Braun der unberührten Schränke. Wir sind verkabelt, wir können nichts außer warten. Immerhin: ich bekomme Besuch. Der Besuch sitzt neben mir auf dem schmalen Bett, unter uns Plastik, ein Schutz gegen alles, was flüssig und menschlich ist. Der Besuch legt mir seinen Kopfhörer ans Ohr, Low singen „Try to sleep“ und die Blutdruckmanschette zieht sich zusammen, lässt meine Hand ein Stück seinen Oberschenkel nach oben wandern. Mit dem Besuch neben mir kann ich schlafen. Der nächste Morgen bringt wenig Neues: Mit meinem Herz stimmt etwas nicht. Vielleicht wohnt in ihm immer noch jemand, den es nicht gibt.

Der Wein ist clean. Wir bestellen Ente, die schwimmen und singen kann und ernten gebackenen Tofu. Später feilschen wir um Sonnenbrillen und der Abend gibt uns ein Eis aus - unserem Schokoladenlächeln entkommt niemand. Auf der Oberbaumbrücke steht ein Mann im Uringestank und mixt Mojitos; ein schmerbäuchiger Engländer hält uns eine Socke unter die Nase, er will gegen Spenden Osterhase spielen. Die Canons der Hipstermädchen sind ihre eigene Persiflage, zwinkernd kuscheln sie sich an wehende Polyesterblusen, baumeln gegen verschwitzte Leggins. (Wir wären ja alle gern zerbrechlich.) Das schwimmende Hostel erfüllt western standards, die Lounge bleibt trotzdem unbesetzt, ein Floß in Armyfarben treibt vorbei, der Kapitän trägt Ray-ban und zeigt den Mittelfinger nur, weil sein in die Jahre gekommenes baby ihn knipst.
Wer mir zu nah kommt, muss küssen. Ich lecke Morgen in deine Augenbrauen. Die Bäume sind Vogelherbergen, eine Katze legt den Kopf schräg, wir lenken sie mit Miauen ab. Die machen Liebe, kichert es aus der Nähe, und ich denke, bei Bukowski würde das heißen, er fickte sie durch.

Du bist Glück der übelsten Sorte



In deinen drei Worten schläft der Sommer.

passivraucher asked: Es gibt ein Mädchen, dass mir nicht mehr aus dem Kopf geht. Sie macht mich hilflos, weil ich manchmal das Gefühl bekomm, sie mag mich genauso wie ich sie, aber es gibt so viele Situationen, in denen ich glaube, ich bin nur ein großes Spiel für sie.Ich werde nicht schlau aus ihr. Heute habe ich Postkarten gebastelt und ich werde ihr eine per Post schicken, aber ich finde nicht die richtigen Worte für die andere Seite der Karte. Es soll unbeschwert sein, ich will nicht, dass sie an den Worten merkt wie oft ich an sie denke.kannst du mir helfen?bitte.

Lieber Passivraucher,
lass uns davon ausgehen, dass das hier eine Internetgeschichte ist. Lass uns davon ausgehen, dass du ihren echten Namen und ihre Adresse hast und damit: ein Stück ihres Vertrauens.
Wenn dem so ist, lass das sein mit dem Bemühen um Unbeschwertsein. Zeig, was du hast im Herz und wenn sie nicht interessiert ist, hast du wenigstens keine Zeit für Spielen vergeudet.

Du brauchst niemanden, der dich rettet. Du brauchst jemanden, der dich an den Menschen erinnert, der du sein kannst.

Als könnte man mich einfach weglassen

Schwarzlicht ist der neue Stern Bethlehems. Vinylpolsterung und Schlieren im Blick, Schweiß macht auf vertraulich. An den rot getünchten Wänden leere Goldrahmen und vor den Fenstern der Morgen; wir haben gute Gründe, dunkle Tücher davor zu hängen. Die Spüle zum Tresen umfunktioniert; davor ein paar Zwanzigermädchen, die glauben, tiefgründig gucken zu können, dabei würde müde schon reichen. Das einzige Wort, das sie noch buchstabieren könnten, ist Wodka.
Wir lehnen uns tanzkrank aneinander und trinken in diesen schweren Zeiten hoch moralisches Bier. Dein Atem liegt säuerlich in der Luft, dein Wort an meinem Mund. Es fühlt sich so an, als könnte man mich einfach weglassen. Als könnte ich mich aus diesem Raum, aus dem Basspuls in deinem Bauch löschen und nichts bliebe zurück, kein Zwischenton, nur Stille hinter der Stirn, Stille, die nichts kann für meine Angst, die keinen Namen hat, die niemand versteht, am wenigsten ich selbst.
Du nimmst meine Hand, wir schwanken wie müde Tanzbären. Schlüsseldrehung nach links, ein Kuss wie auf Probe, deine Hand fährt Etappensiege ein. Meine Gänsehaut: ein stiller Protest gegen die schmalschultrige Couch und ihr Staubkoma, gegen die geheimnislosen Kästen Bier auf dem Boden, gegen das kleine Orchester aus Motten und Fruchtfliegen. Auf dem Stuhl gegenüber sitzen Pizzareste und der Teppich ringelt sich um unsere Füße wie ein trotziges Tier. Herzlärm hinter fensterndem Himmelsrechteck: Der Mond hat sich rund gelegen über uns und mein Kopf versichert glaubhaft, dass das hier Kriegsgebiet ist. Meine Augen flecken aus, du bringst Kaffee. Die Unterseite des Bechers katzenzungenrau, der letzte Schluck legt sich glatt und warm in die Kehle. Trösten können kleine Dinge; ich suche nach den großen.

Bilddank an Diana Cristea-Serban

Wir sind süchtig danach, zu verschwinden.

[Dieser Blog wächst in euren Händen, unter euren Blicken. Jedes Wort: für euch, und die Freude. Mit euch: herzhoch springen]

Schau in die Kühle. Ein Lächeln wächst ungefragt zwischen den Mündern. Etwas verschiebt sich, dieser Abend nimmt uns vorweg. Kein Donner zu hören; nur Löffelpoltern auf Glas, Paukenschlag Eis auf der Zunge und Sahnerinnsal am Hals. Es gibt nichts, was gegen Herzschwäche spricht; sie sichert das Gelände für uns. Ich wache neben dir auf dem Boden auf; wir zählen zu denen, die nachts am besten blühen. Wir zählen zu denen, die süchtig danach sind, zu verschwinden. Wenn man es sagen dürfte, ich würde sagen: In unseren Fingerkuppen schläft Licht.

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Melancholie ist unwiderstehlich mit ihrem dünnen Hemd und den halb geöffneten Lippen. Melancholie schlägt sacht gegen deine Schenkel und etwas Nasses taumelt nach unten. Melancholie legt einen Fransenschal nachlässig um deine Handgelenke, ehe sie dir ohne Vorwarnung den Mund verschließt. Walnussgeschmack. Dringlichkeit. Deine Nasenspitze glänzt von Melancholie, und du gehst ihr leicht von der Hand.
Melancholie tariert Vermissen aus und schnitzt den Morgen grobkörnig vor dein Gesicht. Ihre Schönheit wiegt schwer; sie schmeckt nach allem, was falsch ist in dir.
Melancholie bringt dir bei, alles zu verstehen und wenig besser zu machen. Mit ihr lebst du auch dieses uneingestandene Jahr.
Manchmal nimmt dein Atem zwei Stufen auf einmal, aber in ihrem Land bleibt nichts übrig, als sich zu verirren. Melancholie macht dein Herz zu einem üblen, einem unerkundbaren Ort.

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Nimm meine Handvoll Jubel.