Notfallherz

Auf dem rosa Zettel steht „Notfall“, deswegen soll ich nicht mit den anderen fernsehen und Automatenwasser trinken, sondern auf einer Trage liegen, dem Aufnahmetresen gegenüber, in Blickweite. Weißes Papierknistern zwischen dem harten Polster und mir, Hygienevorschrift. In dieses Knistern lege ich mich, versuche, unauffällig zu atmen, als sei ich Kind und presste mich auf einen Feldboden, gefallen in einem Krieg ohne Waffen.
Die anderen werden nach und nach aufgerufen, ein Lokalgangster mit angeschossener Hand, ein kleines Mädchen mit blau geprügelten Augen, eine dicke Mutter mit noch dickerem Sohn und Magenschmerzen. Neben mir sammeln sich weitere Tragen. Festgeschnallte alte Menschen, Faltengesichter und schreiverzerrte Münder. Krankenschwestern verteilen Spritzen und barsche Worte; währenddessen schlägt mein Herz, mein Notfallherz, immer schneller und nimmt mir die Luft. Ich kann keinen Notruf abgeben, weil dafür die Luftnot zu groß ist und ich frage mich, ob es das jetzt war. Ob ich in der Sterilität eines Krankenhauses sterbe, ohne etwas zurück zu lassen, das bleibt. Immerhin: ich weine, also lebe ich noch.
Die Ärztin, die schließlich auftaucht, ist klein und pummlig, sie fragt, ob ich eine Patientenverfügung hätte oder einen Organspendeausweis und lässt mich dann auf meiner Trage in ein Dreierzimmer rollen, die Pfleger sind gesichtslos vor meinem Tränenvorhang und legen Kabelverbindungen zu piepsenden Monitoren, Monitoren, die auf mich aufpassen sollen, weil ich das offensichtlich nicht mehr kann.
Der restliche Tag unterteilt sich in Blutentnahmen, die Pflasterreste an Armen, Händen und Füßen sehen wie Vereisungen aus, eine davon herzförmig: ein Ballonherz an einer Schnur. Die zwei Frauen neben mir fallen sich gegenseitig ins Wort - wenn sie nicht von Königsfamilien sprechen, dann von Einsamkeit. Ich versuche, mir einzureden, dass das Plätschern in ihren Urinbeuteln wie ein Bach klingt und dass ihr Erbrechen vorm Frühstück nur gesund sein kann; der Toast ist ohnehin kalt und hart wie das Braun der unberührten Schränke. Wir sind verkabelt, wir können nichts außer warten. Immerhin: ich bekomme Besuch. Der Besuch sitzt neben mir auf dem schmalen Bett, unter uns Plastik, ein Schutz gegen alles, was flüssig und menschlich ist. Der Besuch legt mir seinen Kopfhörer ans Ohr, Low singen „Try to sleep“ und die Blutdruckmanschette zieht sich zusammen, lässt meine Hand ein Stück seinen Oberschenkel nach oben wandern. Mit dem Besuch neben mir kann ich schlafen. Der nächste Morgen bringt wenig Neues: Mit meinem Herz stimmt etwas nicht. Vielleicht wohnt in ihm immer noch jemand, den es nicht gibt.