drama?

Ze Zurrealism Itzelf


we both know I’ll never be your lover
I only bring the heat, company under cover,
filling space in your sheets.*

Vielleicht sind wir in der Küche, knallen Salz und Pfeffer auf den Boden, presst sich der Tisch hart gegen mich. Schweißsplitter über unseren Gesichtern, in unseren Händen, die einfach tun, einfach handeln und greife. Ich bin irgendwo weit oben, keine Ahnung, wo er geblieben ist.
Zuletzt werden wir doch nur wieder zwei Klumpen Fleisch, die aneinander prallen, eine Abfolge klatschender Geräusche. Ich schieb mir die nassen Strähnen aus dem Gesicht, sein Rücken: ein Striemengeheimnis. Vielleicht habe ich chemische Formeln hinein gekratzt, eine Formel für Unglück.
Und von draußen der Quecksilbermond, metallischer Zungenbelag und dieses schrecklich gescheckte Plumeau. Vielleicht bin ich giftig, flüstere ich ihm ins Ohr, sein Seufzen verliert sich kurz vor dem Boden.
Später: ein singendes Stechen, eine einzige Signalgebung; ich stelle mir vor, dass bei jedem Schmerzintervall LED-Leuchten aufscheinen, mein Körper ein Lichtgewitter in der Dunkelheit des Zimmers. Der neue Tag wird ein déjà-vu sein, eine Folge von Pflichten, die keine sind. Keuchen mischt sich ins Atmen, ein zu schneller Loop, ich weiß nicht mehr, ob Leben oder Sterben Angst macht, aber fest steht, wer auch immer bei mir ist, darf nicht mehr weg gehen. Heute Nacht gehört mein Körper dem, der als erster danach greift; deine Chance, sage ich in sein Schnarchen hinein, deine Chance und irgendwas erreicht ihn im Traum; er runzelt die Stirn und dreht sich weg.


* lyrics from Daughter: Candles

26/09

Ich steige aus der Bahn, dein Rücken verschwimmt, geht unter in der Menge und ich denke, es könnte alles auch ganz anders sein, eine neue Hand könnte nach meiner greifen und ich würde mit jemand anderem weiter gehen. Manchmal will ich in Bahnhöfen leben, an Orten, die es nicht wirklich gibt, wo all die kleinen Dinge nicht existieren, die Decken und Kissen, die Platten und Briefe, all die Dinge, die nur scheinbar Halt geben. Es bräuchte Bahnhöfe mit Schwimmbädern: die letzten Reste vom Ich abduschen und unter Wasser neue Regeln aufstellen.
Aber heute gibt es Berlin, gibt es Kurortstimmung in Friedrichshagen. Maßgeschneiderte Dinkelkuchen und Wollkostüme. Haustierreiki, Luftkristallfilter und mediale Vermittlung: Hier ist Raum für alle Überflüssigkeiten, selbst die Wespen wollen nur spielen. Wir tasten uns verschnörkelte Häuserfronten entlang, hier ist doch vor Allem Seewasser mit Möwen darauf, die ungerührt im weichen Wind schaukeln. Neben uns Berliner, die sogenannten richtigen, die auch kein anderes, besonderes Bier trinken. Auch die richtigen Berliner schauen auf den Müggelberg, als läge am anderen Ufer etwas Großes.
Trockenlegung der Blätter auf dem Boden, erste Kastanien wie aufgespießt daneben, ich lese in deinen Fußabdrücken, als wäre das unser erster Herbst. Die Enten starren, eine brotlose Kunst. Ich werfe meine Schuhe in die Luft; vielleicht ist mir der Himmel früher nicht aufgefallen, dieses überschäumende Weiß vor Blau, dieser Kugelflausch am Horizont, mit dem ich um die Wette rennen will. Aus dem Stand in die größtmögliche Geschwindigkeit: die Entfernung zwischen dir und mir kurzschließen. Ich könnte nichts mehr wollen, die Schmauchspuren der Flugzeuge würden nichts bedeuten als Elefanten im Steigflug, vertraute Unmöglichkeit. Das war vielleicht der letzte warme Tag, sagst du, der letzte warme Tag, ehe wir uns in einem Wort zusammen rollen, für den Winter.

Ach, Hildesheim.

Als ich hier anfing, sah ich aus wie ein Junge, bleich und langhaarig und an den falschen Stellen zu dünn. Ich stakste durchs Studentenwohnheim, behindertengerecht nannten sie das, dass der dunkle Flur sich ohne Treppen nach oben schraubt, eine Mischung aus Jugendherberge und Science-Fiction aus den Fünfzigern. Ich saß in der Uni und lernte, dass man nachmittags ruhig den ersten Sekt aufmachen kann und Luftgitarren ein ernst zu nehmendes Seminarthema darstellen. Das hier hätten doch Leute wie ich sein sollen, stille Stubenhocker, und dabei ging es mit dem Saufen, dem Lautsein erst los, ich saß mit Notizbuch und großen Augen in Kellern, auf Dachböden und in Seminarräumen; hätte es einen Panikknopf gegeben, ich hätte ihn nicht loslassen können. Dieses Herzrasen, als es anfing mit dem Texte vorlesen, den Kopf zwischen den Schultern nach unten geschraubt. Als es damit anfing, sich ernst zu nehmen für das, was man tut. Das Schreiben zum ersten Mal „Arbeit“ nennen.

In Hildesheim zu studieren, war, wie in Therapie zu sein. „Wie lange bist du schon hier?“ „Wie lange musst du noch?“ „Was macht dieser Text emotional mit dir?“ Manche waren vorher schon krank gewesen, manche wurden es erst, und an manchen schienst du abzuprallen: sie fläzten sich auf deinen Wiesen, stapften unverdrossen durch deinen Regen, mit ihren Hipsterjeans und Ballettschühchen, mit offenen Haaren und Hemden.

Deine Ureinwohner sind Alte, die aufs Sterben warten oder Teenager mit Zahnspangen, die sich prügeln wollen, dazwischen gibt es nichts, nichts als Studenten, die verzweifelt versuchen, sich nicht zugehörig zu fühlen und in irgendeinem Supermarkt frisches Gemüse zu finden. Alles hier schaut abgestanden aus, ich musste Kassiererinnen erklären, was Basilikum ist und hätte mich danach gern betrunken, ein weiteres Mal.

Ich litt an dir wie ein Hund und bekam Carepakete, von Freunden und Fremden, ich habe in meinem Wohnheimzimmer eindeutig zu viele Jungs geküsst und zu wenige Mädchen. Ich habe ein Menschenleben gerettet und das einer Ente nicht retten können, die deine Einheimischen umgebracht und gegrillt haben, Hildesheim, an deinem beschaulichen See, wo immer mal wieder ein Betrunkener untergeht; bescheidene Holzkreuze erzählen von René oder André, während nebenan Kopfsprünge geübt werden.

Wer die schlimmste Vorstellung von Provinz mit seinem Alter malnimmt, der weiß, wie es hier aussieht. Es läuft sich, es denkt sich wie durch Sirup durch deine Straßen und Tage und ich habe mich dafür gehasst, genau das zu brauchen, diese ins Minus gedrehte Geschwindigkeit. Ich brauchte diese drei Jahre, in denen ich lachen und weinen lernte, in denen ich aus dieser unsäglichen Taubheit klettern lernte, die mich ausgefranst hatte.

Du zwingst zur Nähe, Hildesheim, du zwingst zu ausgiebigsten Tee- und Bierstunden in WG-Küchen, weil deine Cafés, deine Clubs ihre Namen nicht verdienen. Aus Verbündeten gegen dich werden Freunde, man liegt sich hier rekordschnell in den Armen, jedes Stück Wärme wird geschluckt, damit es sich im Magen hält, auf dem Heimweg.
Hinter mir liegen drei Jahre voller guter, tiefer Gespräche, eine Tiefe, die ich in Berlin erst suchen muss, weil das hier nicht so leicht ist, in fremde Küchen zu dürfen, in den allernächsten Raum, weil man hier Mittel- und Knotenpunkte sucht, Zwischenorte, an Haltestellen gelegen.

Man wird dir nicht gerecht, Hildesheim, weil man sich an dir aufreibt, dich hassen muss und trotzdem an dir gesund wird. Und es braucht Berlin nicht, weil da alle hingehen und immer noch glauben, bei ihnen wäre das neu. Es braucht Berlin, weil ich ein Zuhause brauche, Hildesheim, und dafür taugst du einfach nicht. Ich lasse zentimeterweise Haar zurück, eine Handvoll Illusionen und die Gewissheit, dass du alles verändert hast.

Hab es gut, Hildesheim. Danke für alles.

Das Leben hier ist eine Folge von Zeitsprüngen, atemlos werden Momente nachgeholt, keine Begründungen. Betrunken den Kopf in den Fahrtwind schieben; die ersten Seiten des neuen Buchs beschwören herauf, worauf ich gewartet habe. Der erste kalte Abend nimmt uns als Verbündete: gemeinsam atmen wir weiß. Der Tag wird neue Farben haben und die Musik hört auf, Abfolge von Einsamkeiten zu sein. Die Vorstellung von dir in egal welcher Ferne zerfetzt. Dass es einen Moment gäbe, in dem ich keine Fragen mehr stellen kann. Keine Geschenke mehr für dich ausdenken kann, keine Namen, keine Kuchenmomente - dass es keinen Möglichkeitsraum mehr gäbe für unsere Freude. Fürs Erste müssen morgen und gestern bleiben, was sie sind: eine Rekonstruktion, eine Lüge. Fürs Erste weiß man von mir nichts weiter, als dass ich in deinen Armen eingeschlafen bin.



Bilddank an keine halben sachen.