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Ich weiß ja, Sehnsucht steht uns besser als Heimat. Im Suchen kennen wir die Wege blind, müssen wir nirgendwo ankommen. Das Gute am Fiebern ist, dass nichts geplant werden muss, dass eine Weile lang Stille im Kopf herrscht und Platz macht, fürs Begreifen. Dass die Sorgen dieselben geblieben sind, aber dass ich ganz leise nebenher gewachsen bin. Dass aus dem bleichen, stummen Mädchen eine Wortsammlerin geworden ist, eine, die laut und dreckig lachen kann. Die beinah selbstverständlich aus dem Haus geht, die Zug fährt, in Flugzeuge steigen kann, und das Meer sehen. (Manchmal ist es, als hätte ich früher keine Farben gekannt.)
Glück ist mir noch immer zu abstrakt, ich atme noch immer nur auf Verdacht, aber am Reißbrett Horizont sind trotzdem rote Fäden gespannt, scheint die Möglichkeit auf, dass es mehr für mich geben könnte als Herztrigger und Angstkarriere.
Das Haus von damals steht noch; es bedeutet noch immer zu viel, und es gibt immer was zu überwinden - aber es gibt auch Sicherheit, die nachwächst. Weil heute nicht mehr nach Ersatz schmecken muss. Weil heute kein Mund mehr fehlt, den ich küssen will. Wer krank ist, braucht nichts zu lernen, braucht sich nicht zu interessieren; das eigene Innere wirft schon zu viele Fragen auf. Ich würde gern zurück, dem Mädchen von vor zehn Jahren über den Kopf streichen, und sagen: Bis später, wenn dein Leben ein anderes ist.

Bilddank an kayruhe.