drama?

Ze Zurrealism Itzelf


Worte von gestern

Im Spiegel bin ich noch Mädchen, im Spiegel ist noch Zeit, bis es ans Zugreifen, ans Zupacken geht. Bis Füße nicht mehr stolpern, bis Augen nicht mehr suchend auf dem Boden, auf Haut tasten dürfen.
Älter werden ist eine ruckartige Bewegung; eines Morgens kräuseln sich Ahnungen auf der Stirn, auf den Oberschenkeln. Eines Morgens gähnt es sich beharrlicher, tiefer, und das, obwohl ich mich in all den durchwachten Nächten nicht am Lachen verschluckt habe. Wach sein, das hat nichts mit Tanzen zu tun, der Strobo in Mitte reicht nicht bis in mein Zimmer; hier gab es nur das Wissen, die Ahnung, die Hoffnung, dass noch Zeit wäre. Dass ich es mir leisten könnte, die Welt vor den Fenstern vorbei ziehen zu lassen.
Die Haare vom Kissen dicht ans Kinn gedrückt: liegen und den Worten zuschauen, wie sie sich formen im Kopf. Liegen im Wissen, dass ich irgendjemanden noch wecken kann, einen der schmal geschnittenen Jungen, die daran glauben, dass man mich retten könnte oder müsste. Emotionspingpong durch Glasfaserkabel: ein fremdes Lächeln ist immer am schönsten, am sichersten.
Vielleicht hat es mit dem älter werden zu tun, dass man kaum jemanden noch wecken darf. Der Bedarf an Illusionen sinkt; heute träumt man von Alltag. Die Guten, sagte Großmutter, die Guten sind immer zuerst weg, übrig bleibt Ausschuss. Übrig blieb ich; übrig blieben fremde Herzen, in die ich zur Zwischenmiete einzog, ein paar Wochen und Telefonstimmen lang. Das unretuschierte Gesicht bei Skype: ein Cliffhanger für zwei. Danach fängt man an, die Sätze des anderen abzugleichen mit dem, was man eigentlich will. Danach fragt man sich, ob die Stille am anderen Ende der Leitung wirklich Lächeln ist.
Manchmal sucht man sich ein Nest im fremden Bett, flüstert einander Fabeln vom Gelingen ins Ohr. Manchmal nimmt man eine Pause vom Alltag, bis die Münder sich ampelrot färben. Bis sich Unausgesprochenes zwischen uns sammelt; in unseren Köpfen ist von Enttäuschung die Rede. Das Lächeln schmilzt weg, weil wir einander nicht erkannt haben, obwohl man uns hätte ausdrucken können, seiten- und bücherlang sind wir uns einig gewesen. Sehnsucht muss nicht übersetzt werden: im bedürftig sein verstanden wir uns.
Später dünnen die Nachrichten aus, magern ab bis zum Schweigen; später ist auch das Nichtschwimmerbecken Internet eines, in dem man untergehen kann.

save yourself a song.

Betrunken sein, das geht auch mit müden Augen und zu viel Zucker im Blut. Betrunken sein unter schubsenden, singenden Anderen. Es ist nicht so, dass ich das nicht versuche mit dem normal sein. Alle paar Jahre gibt es jemanden, der mich nach draußen zerrt, der mich daran erinnert, dass Nächte mehr zu bieten haben als verwachte Stunden. Als Musik und Bücherstapel und Sehnsucht ohne Ort.
Es ist ja nicht so, dass ich nicht nippe und kaue und schlucke. Dass ich nicht küsse und frage und antworte. Es ist ja nicht so, dass ich nicht lächle, wenn das richtige Lied mich anfällt. Wenn es endlich draußen und nicht nur im Kopf zu laut wird.
Es ist nur so, dass das, was ich tue, bloß Imitation ist. Im Brustraum pochen Leerstellen, mein Puls telegrafiert Nachrichten, die ungehört bleiben. Sobald ich versuche, eine Geschichte zu erzählen, stellt sie ihre eigenen Regeln auf. Drinnen, in meinem Raum, meiner Komfortzone, bilde ich mir Berührung in der Sprache ein, Verstandensein. Draußen verstehe ich, dass es nur Aufprall geben kann. Erschütterungen.

nothing compares to a start

Es hört ja nicht einfach auf, sich richtig anzufühlen. Man beginnt bloß, die ersten Brüche zu sehen, das kurze Stocken, die winzigen Irritationen, über die man hinweg ging, weil doch alles noch anfing, und nothing compares to a start. Das sollten doch wir werden, tiefer und enger, als jeder Ratgeber raten würde - egal, ob Buch oder Freund. Das sollte groß werden, so groß, dass es uns überleben könnte.
Und jetzt schau ich uns von oben an: zwei fremdvertraute Körper, die nichts miteinander anzufangen wissen. Eingespielte Gesten und routiniertes Schweigen. Das, worüber wir nicht sprechen, zersetzt jeden Versuch von Bewegung, löscht jeden Tag ein Stück Boden aus, bis alles ins Wanken gerät, bis dieses Fundament namens wir nicht mehr groß und fest genug ist, um uns zu tragen.
Bis wir abspringen müssen, freier Fall in neue Notwendigkeiten: Wohnungsbesichtigungen, Kontoauszüge, Schufa-Auskunft, und all das, während man zuhause im Bett liegen und weinen will. Aber zuhause gibt es nicht mehr, es gibt nur Sofas von Freunden und ein zurückgelassenes Leben, das in Kartons einsortiert werden muss, gegen Brüche drei Mal mit Zeitungspapier umwickelt – auf ein neues, brucharmes Leben. Wie verlorene Kinder stehen die Möbel herum, die wir zu zweit gekauft haben, jeder ein paar Scheine strahlend dem Kassierer bei Ikea in die Hand gedrückt, der das schon kannte, der seinen Blick schon abgeschaltet hatte für die Freude in Kundenaugen, die ohnehin nicht viel mit Stühlen oder Lampen zu tun hatte. Wer bei Ikea arbeitet, dachte ich, der sieht alles. Den hysterischen Rausch der ersten gemeinsamen Wohnung. Die Kompromisse, die man noch gern macht. Und dann die verkniffenen Münder, wenn man weder einander noch den neuen Schrank sehen will. Die blinden Käufe, wenn eigentlich schon alles vorbei ist und man sich mithilfe von Tischen und Stühlen versucht, vom Gegenteil zu überzeugen. Und zuletzt: die Topfpflanzen, die Farbe in ein lichtarmes Apartment bringen sollen und nicht zu schwer sein dürfen. Gerade so schwer, dass einer allein sie tragen kann.

Herzausgabe bei -> Ocelot