drama?

Ze Zurrealism Itzelf


Hej.

/off the record

Früher, lang genug, war ich Nachtkurier. Flüsterte ins Funkgerät, ohne zu wissen, wer zuhört. Manchmal wollte ich nur in neue, in andere Leben schlüpfen, etwas Unbekanntes fühlen, mit fremder Stimme sprechen. Manchmal wollte ich nur, dass jemand zuhört, und hier, an diesem Ort, gab es Nachrichten, gab es Telefonate, gab es Menschen, die mit mir durch die Jahre gingen, die mich hielten, als ich das nicht mehr selbst konnte. Ich sammelte mit ihnen den Mut, den es brauchte, um vorwärts zu kommen, und dann glitten ihre Hände aus meinen. Es heißt immer, dass sich erst in der Not zeigt, auf welche Freunde Verlass ist, aber manchmal zeigt es sich auch im Glück. Manchmal zeigt sich, dass jemand es nicht ertragen kann, wenn du drauf und dran bist, froher zu sein als er.

Und mir fiel auf, dass ich keinem dieser Menschen erzählt habe, welches Buch mich immer begleitet, egal, wohin ich gehe. Oder dass mein Musikgeschmack, wenn niemand zuhört, ziemlich peinlich ist. Oder dass ich neue Profilbilder poste, wenn ich mich gerade überhaupt nicht leiden kann und ein freundliches Wort brauche, aber nicht direkt danach fragen kann. Dass ich noch immer mein allererstes Kuscheltier habe und mich weigere, es in Rente gehen zu lassen. Dass ich gern in einer WG leben würde, mit Mädchenfreundinnen, die ich nie hatte. Die mir, wenn ich krank bin, Suppe kochen und mich, wenn ich gesund bin, auf Partys mitzerren, über die ich vorher die Nase rümpfen und von denen ich danach wochenlang schwärmen werde. Dass ich gern schnelle Filme sehe und dass ich niemanden kenne, der dreckiger lacht als ich. Dass ich nicht nur eine von denen bin, die man an die Hand nehmen muss, weil sie sich vieles noch nicht trauen, sondern auch eine von denen, die viel zu geben haben.

Jemand hat mir mal gesagt: „Wenn du weißt, dass ich deine Texte mag, weißt du schon ziemlich viel über mich.“
Hej. Ich weiß schon ziemlich viel über dich. Wann gehen wir einen Kaffee trinken?

I must quit you.

Vielleicht träumen nur die schlecht, die schon vorm Einschlafen Angst hatten, denkst du mit schwarz unterkraterten Augen; vielleicht bedeuten all die Alpträume nur, dass du das immer noch zu sehr nötig hast: geliebt zu werden.

Manche Wünsche hebeln jede Intuition aus, sie treiben die Mundwinkel nach oben, obwohl du den Mund öffnen und schreien solltest, schreien vor Zorn.

Wer einmal angefangen hat, zu warten, kann nicht mehr damit aufhören. Eines Tages gäbe es jemanden, der dir Schlaflieder singt, der dir eine kühle Hand auf die fieberheiße Stirn legt. Eines Tages würdest du dich in der großen Pause nicht in der Schultoilette verstecken, weil es jetzt jemanden gäbe, der deine Sprache versteht. Eines Tages wärst du beim ersten Kuss jung genug. Eines Tages würdest du mit stolzgeschwellter Brust und makellosem Lebenslauf durch die Jahre gehen.
Du hättest den Büchern und Menschen nicht geglaubt, die dich für reparaturbedürftig erklären wollten. Du hättest verstanden, dass es manchmal einfach andere Bücher braucht, andere Musik, andere Ziele. Dass man manchmal nicht an sich leidet, sondern an Menschen, die es gut meinen und schlecht machen. Menschen, die dich klein halten wollen, damit sie sich nicht umgewöhnen müssen, damit alles bleibt, wie sie es kennen. Damit sie keine Angst haben müssen, dass du eines Tages größer werden könntest als sie, dass du über ihre Köpfe hinweg sehen würdest, wie hell und bunt es am Horizont aussieht, dort, wo es dich hintreibt, weil du dort noch niemanden kennst, nicht einmal dich.

Maybe not

Es gab diese Zeit, weißt du? Ich drehte die Musik auf, um meine Gedanken nicht mehr hören zu müssen. Ich warf mich auf den Boden, schlug mit dem Kopf gegen die kühlen Fliesen, um endlich einen guten Schmerzgrund zu haben. Ich lag im Bett, die Jalousien herunter gelassen, der Soundtrack dieser Tage leiser als ein Seufzen. Ich war ein Tier, das im Dunkeln, im Schweigen lebte. Meine Welt waren Bettdecken und Fußböden, ich atmete unter Laken, auf Linoleum. Das kleine Lichtrund auf meinen Fotos verriet, dass mein Leben maximal unter einer Schreibtischlampe stattfand. Ich war ein Nachtkurier mit gelblicher Haut, presste meine Stirn gegen den Bildschirm, als sei er eine Hand, die mir Gutes wollte. Wenn ich nur geduldig genug wäre, dachte ich, wenn ich so still halten könnte, als würde keine Zeit vergehen. Wenn ich regungslos auf meinem Bett läge und ganz flach atmete. Dann würdest du zurückkommen.
Aber währenddessen habe ich mir aus dem Internet eine eigene Stadt zusammen geklaubt, habe Silben auf mein Kleid genäht, ein Steppbett aus Sätzen, ein Kokon aus Buchstaben, der mich warm hielt. Später kamen Freunde dazu. In manchen Nächten wandern deine Worte noch durch meinen Körper. Aber langsam lernt er, dir nicht mehr zuzuhören.

Passenger

Noch bevor die S-Bahn einfährt, sehe ich sie, meinen Zwilling, größer und schwerer als ich, die Haare rot und kurz geschoren, trotzdem sind wir gleich, richten unsere Blicke unsicher auf die spiegelnden Fenster, zupfen an Schal und Mantel, als könnte uns das beruhigen, und als sie zu sprechen beginnt, beißt sich jedes Wort in meine Magengrube. „Er lebt einfach weiter, als wäre nichts gewesen, und ich stecke fest und komme nicht vorwärts.” Er, das könnte ein Vater sein, ein Liebhaber oder auch Gott; es spielt keine Rolle. Ihre Freundin, die Stichwortgeberin, bringt das Schlagwort „Therapie“ ins Spiel und erntet heftiges Nicken: „Stimmt, ich bin weitergekommen, ich habe Therapie gemacht. Ich setze mich auseinander und er verdrängt alles nur!“

Ich schaue in ihr bleiches Gesicht, taste meine eigene blasse, kalte Stirn entlang, ich stelle mir vor, wie auch ihre Hände zu zittern beginnen, sobald sie aufgeregt oder überfordert ist, wie nach und nach ihr ganzer Körper bebt, wie ihre Zähne aufeinander zu schlagen drohen, wenn ihr einfällt, eine Rechnung nicht rechtzeitig beglichen zu haben, wenn jemand sie anschreit oder wenn sie mit jemandem spricht, den sie eigentlich küssen will.

Menschen wie wir, denke ich, bleiben an Therapie hängen, wir verpassen den Moment, der Schubhilfe geben kann und klammern uns fest. Weil ein Therapeut sich immer auf unsere Seite schlagen wird, und genau das hat uns ein Leben lang gefehlt. Auch wenn er das nur tut, weil es sein Job ist, weil er dafür mehr Stundenlohn bekommt, als wir je erreichen werden mit unseren Bruchlebensläufen, bleiben wir, fragen noch einmal nach, rufen jeden Schmerz wach, an den wir uns nur flüchtig erinnern, wir wecken jeden schlafenden Hund, wir fangen an, den Schmerz wichtiger zu nehmen als den Rest, wir bleiben einfach stehen, auf Alarmstufe Rot, und glauben, dass wir auf diese Weise heil werden könnten.

Und unsere Väter, unsere Liebhaber nehmen unterdessen sich selbst wichtig, sich ganz und gar, nicht nur ihren Anteil Schmerz. Vor meinem inneren Auge werden wir älter, mein Zwilling und ich, ich sehe, wie sich Falten in unsere Gesichter graben, ich sehe, wie wir uns damit zufrieden geben, die Verantwortung auszulagern, einen Vater, einen Liebhaber, einen Therapeuten damit zu beauftragen, uns von wahr und falsch zu erzählen, auf dass wir uns nicht mehr allein fühlen mit dem Gewicht der Entscheidungen, die wir treffen müssen, jeden Tag.