drama?

Ze Zurrealism Itzelf


Es reicht ja nicht aus, dass sie dich nicht wieder erkennen, die Menschen, neben denen du früher gelebt, mit denen du dich auf Schulbänken und Pausenhöfen gelangweilt hast. Es reicht nicht aus, wenn du weißt, dass du jemand anderes geworden bist, in vielerlei Hinsicht. Dass das Lachen lauter und die Haare kürzer geworden sind, das Gesicht weicher und die Taille schmaler. Weil immer noch dieser jemand in dir steckt, der sich fehl am Platz fühlt, egal, wo er ist. Weil das nicht aufhören wird, dass du über Tage und Wochen nicht schlafen kannst, dass du mit Herzrasen wach liegst, dass du um fünf Uhr morgens Abschiedsbriefe und Testamente entwirfst, weil du immer noch nicht gelernt hast, ruhig zu atmen, weil du dir das immer noch nicht vorstellen kannst: du und glücklich. Du und richtig. Weil du am Ende still durchs Herbstlaub stapfst, vorbei an Zweierreihen, an Kinderwägen, weil du am Ende oben auf einer Brücke stehst und auf das Wasser hinabschaust, auf das Glitzern, in eine Weite, die von allem erzählt, was du nicht kennst. Weil du in diesem Moment, hoch oben in der Novembersonne, weißt, dass du noch einmal ganz von vorn anfangen willst. Dass es Zeit wird für einen neuen Ort, eine neue Arbeit, für ein neues Verstehen von allem, was du bist, was dich umgibt und von allem, das du noch entdecken wirst. Für Geschichten, die du nicht erfinden kannst. Für ein Gefühl, in dem sich überwintern lässt. Vielleicht wirst du dann, eines Tages, kein Notfallherz mehr haben. Wirst du wissen, was dich trösten kann.

Bilddank an ikeafieldmouse.

Zwei werden sich nie einig sein, was ein Moment wirklich bedeutet. Was es heißt, wenn ich meine Hand auf deine lege. Was meine stolpernden Worte bedeuten und dein Lächeln, das auf Rückzug geht. Was das Foto bedeutet, das du von mir geschossen hast, in einem unbeobachteten Moment, das Foto, das du still auf den Tisch legst, bevor du gehst, eine Erinnerung an bessere, schweigsamere Tage.
Ich bin im Schreiben immer besser gewesen als im Reden. Manchmal denke ich, ich sollte stumm spielen, alles, was ich sagen will, zuerst auf Notizblöcke kritzeln und zehn Mal gegenlesen, alles Überflüssige kürzen und streichen, alles, was zu sehr nach Sehnsucht klingt, nach Brauchen, nach Einsamsein, alles, was zu sehr nach mir klingt. Alles, was mich zurück an den Rand deines Lebens rückt, irgendwo dorthin, wo die unliebsamen, sperrigen Möbel stehen, die man beim nächsten Umzug zurücklässt. Irgendwo kurz vor unbekannt, irgendwo, wo ich begreife, dass Reden ein Spiel ist, das ich nicht gewinnen kann.

Vom Anfangen.

Am Anfang bin ich am besten. Wenn ich mir deine Augenfarbe noch nicht gemerkt habe, aber genau weiß, wie sonnenhell dein Haar nach nur einem Meertag ist. ​Wenn du behutsam eine Wimper von meiner Wange aufliest und ich meine Hand beim Pusten kurz um deine lege. Wenn mein Kopf deine Schulter berührt oder dein Knie meins und ich ein paar Stunden brauche, um mich davon zu erholen. Wenn es keinen Lärm gibt, keine Scherben, wenn auch der Platzregen mir das Lächeln nicht aus dem Gesicht spülen kann. Wenn jeder Tag- und Nachttraum bei dir ankommt. Wenn unser Lachen genau richtig klingt. Wenn mein kompliziert noch als dein sexy durchgeht. Am Anfang bin ich am besten, weil dann nur Platz ist für die guten Geister. Weil alles noch jetzt ist und nichts von gestern stört. Weil da noch so viel Platz zwischen uns ist, gefüllt mit Dingen, die du nicht von mir weißt.

read me right.

Der Bildschirm meine Weltkarte, noch immer, ich betaste mit den Fingern alte Pfade, gehe im Staub verloren. Vor zehn Jahren hat das angefangen, mit dem Internet und mir, hat das angefangen mit den fieberhaften Unterhaltungen: Buchstaben und Telefonnummern eintippen, die Fremdheit mit sich überschlagender Stimme überwinden. Und es fühlte sich an, als wären alle anderen genauso sehnsüchtig wie ich, auf der Suche nach einem Gefühl, das sie einfach anfallen und nicht mehr weggehen würde, das die genau richtige Hand in ihre schieben würde.

Dass alle anderen dieses Gefühl nicht nur in Tastaturen tippten, nicht nur in Telefonhörer sprachen, dass sie es mit sich nach draußen trugen, in Regen und Schnee und in die Sommerwärme dieses oder eines anderen Kontinents, war mir gleich; ich versteckte mich, mal hinter Grippe, mal hinter Geldsorgen, und ich kam damit durch, Geistermädchen zu sein, versteckt in schmalen Zimmern, hinter Bücherwänden und der genau richtigen Musik.

Ich dachte, dass ich einfach immer damit weitermachen könnte, Menschen in mein Bett einzuladen und morgens entschuldigend meine Sammlung von Ausreden vorzuzeigen, die Tür zwei Mal abzuschließen und mich nicht einlassen zu müssen, egal, auf was. Und währenddessen würde die Geschwindigkeit der Welt gedrosselt, währenddessen würden die Menschen draußen auf der Straße wie durch Sirup gehen und sprechen. Alles würde darauf warten, dass ich die Gewichte an den Füßen, die Gewitter im Kopf abgeschüttelt hätte und endlich mitmachen, mitspielen könnte, im Regen, im Wind. Dass ich ungerührt in Zügen und Flugzeugen sitzen würde, dass ich morgens schluppenblusig im Büro sitzen und abends zufrieden meine Kontoauszüge beäugen würde. Dass ich lächeln und schlafen gelernt hätte und alles andere, was so als selbstverständlich durchgeht.

Und jetzt ist es, als hätten die anderen die Sehnsucht verlernt; Sehnsucht ist jetzt ein verbotenes Wort, ein übel zugerichteter Traum.