post 15513511078626 crawl-Datum: 08.10.2017rssWenn jemand stirbt, sieht man plötzlich klar, sieht scharf gestochen alles, was sich zuvor im... Wenn jemand stirbt, sieht man plötzlich klar, sieht scharf gestochen alles, was sich zuvor im Unterholz des Alltags verborgen hat. Jede Verwandtschaft, die nur auf dem Papier besteht, jede Freundschaft, die ihren Namen zu Recht trägt. Jeden heimlich gehegten Groll, jede Nachlässigkeit, jede uneingestandene Liebe, jede aufgeschobene Entscheidung. Erst seit du fort bist, habe ich wirklich begriffen, wie gut du mich gekannt hast. Wie viel du von mir verstanden hast, vor allem das, was ich verschwiegen habe. Du hast mich mit allem gesehen, was ich so dringend verbergen wollte, du hast mir still und beharrlich bewiesen, dass genau das, dass genau diese Dunkelheit zu mir gehört, dass man sie lieben kann, weil Narben vor allem eins bedeuten: dass man gewonnen hat. Dass man überlebt hat, trotz und wegen allem. Du hast mich sichtbar gemacht, hast mir einen Platz in der Welt zugewiesen, ganz selbstverständlich, so wie du selbstverständlich warst, in deiner klugen Verwegenheit, deiner spitzbübischen Eleganz. Wie viel besser wäre ich gewesen, hätte ich dich ein Leben lang gekannt. An schlechten Tagen ist alles klein neben der übergroßen Tatsache, dass du fort bist. An guten Tagen ist alles klein neben der Tatsache, dass ich es dich gab.
post 14859135592118 crawl-Datum: 08.10.2017rssUnterholz Es hört ja nicht auf mit dem Sterben. Gehen wir zu Bett, stapeln sich Tote auf unseren Decken, schmiegen sich neben uns aufs Kissen. Sie bereiten den Boden, auf dem wir uns bewegen, ihre schlecht überstrichenen Hände und Arme sind Waschbecken. Handtuchhalter. Schuhlöffel. Diese Wohnung, dieses Haus ist so voll gestopft mit dem Wissen um deinen Tod, dass kaum noch Luft für mich bleibt. Dort draußen fällt alle paar Sekunden einer, mindestens, aber die anderen flöten „Das Leben muss weitergehen“ und „Das hätte er so gewollt“ und trampeln über seinen Körper, um eine Fernsehzeitschrift zu kaufen. Ein kühles Getränk. Der Tote ist zu schwach, um zu widersprechen, um die, die über ihn trampeln, am Bein, am Schuh zu packen, sein Schatten ruckt nur noch kurz, um seiner Pflicht zu genügen, diese Zeit ist nicht mehr seine, die Gegenwart gehört ihm nicht mehr, er kommt jetzt aus einer anderen Ära, und keine andere wird sich ihm öffnen. Er kann sich nicht ausweisen: Sein Name ist von ihm abgefallen und blutet auf dem Boden nach und nach seine Bedeutung aus. Wir glauben, dass wir die Trauer überstehen werden wie eine Grippe. Wir glauben, dass wir die Toten vergessen werden, die uns heiß und schwer in den Nacken atmen, in die Nase, die Mundhöhle hinein. Die Toten, die mit donnernden Schritten über den Nachthimmel ziehen, die ihr stummes Licht am Morgen über die Welt werfen, die zischend ins Lied des Wasserkessels einstimmen und heiser in das des Ventilators. Die den Handstaubsauger einschalten, das Gaspedal durchtreten, die Kupplung blockieren, das Herz eine Schrecksekunde lang zu laut, zu schwer schlagen lassen. Der Tote ist zu der Art von Bleiben verurteilt, in der man verschwinden muss. Er ist zum Zuhören verurteilt, wenn die Lebenden ihm Eigenschaften andichten, die er nie besessen hat. Er schrumpft zu einem einzigen Augenblick, an dem jeder herumdeuteln kann. Ihn auf seine halbherzigen Erinnerungen zuschneiden kann. Zur Beerdigung fallen wir noch einmal ein Stück zurück, berühren noch einmal, beinah, seine Hand, um dann wieder ins Helle abzukippen, über die eigenen Schmerzen, die eigenen Möglichkeiten zu grübeln, über eine Zukunft, die wichtiger sein muss als der Tote, weil es sie gibt.
post 13578596458610 crawl-Datum: 08.10.2017rss2015: Ein Schulhofjahr. Die Augen fest auf Asphaltgrau gerichtet; das Herz in der Faust. 2015: Das... 2015: Ein Schulhofjahr. Die Augen fest auf Asphaltgrau gerichtet; das Herz in der Faust. 2015: Das Jahr, in dem du vergisst, dass es auf Schulhöfen immer die gleichen komplexverseuchten Arschlöcher gibt. Und die immer gleichen Speichellecker, die Daumen und Mundwinkel nach oben recken, solange du eine von denen bist, die mitspielen. Sobald etwas hässlich wird, ziehen Speichellecker ihre flauschigen Schwänze ein und verschwinden in schlecht ausgeleuchteten Raucherecken. Manchmal kommen sie als Arschlöcher zurück, wollen auch noch einen Eimer Scheiße über dir auskippen, im warmen Schatten der anderen. 2015: Das Jahr, in dem du dich erinnerst, dass es nicht gut gehen kann, wenn man versucht, die Falschen für sich einzunehmen. 2015: Das Jahr, in dem du anfängst, reinen Tisch zu machen. Ich will keine Zeit mehr mit Menschen vergeuden, die nichts von sich wissen (und auch nichts von anderen). Mit Wichtig-Wichtig-Menschen und zwanghaft Distanzierten. Ich will nicht mehr dazugehören, denn dazugehören bedeutet, zu viele Gespräche zu führen, von denen nichts bleibt als ein schaler Geschmack auf der Zunge. Ich will mich denen zuschreiben, zusprechen, die mich wirklich sehen wollen. Mit allem, was ich bin. Die zulassen, dass ich auch sie sehen kann. Ich will Wörter im Engtanz. Ich will küssen. Ich will schief und laut singen, ich will eine Hand, die meine nimmt, ich will alles sagen, was Speichelleckern peinlich und kitschig erscheint. Ich will verloren gehen. Gemeinsam mit denen, die wissen, wie man fällt. Und mit denen es sich jedes Mal gelohnt hat, wieder aufzustehen. Danke, dass es euch gibt.
post 11180244547127 crawl-Datum: 08.10.2017rss| going dark | Sophia Mandelbaum. Ein Name, der irgendwann im Sommer zu mir kam. Ein Name, den ich brauchte, weil ich meinen eigenen so leid war. Sophia Mandelbaum war alles, was ich nicht sein konnte. Sie gab nie klare Antworten. Sie war die Richtige für schiefe Metaphern. Sie war schön, photoshopschön. Und sie schrieb ihren Schmerz und ihre Wut und jedes andere große Wort, das es eben brauchte, in die Welt hinaus, ganz egal, was diese Welt davon halten mochte, denn sie wusste, dass sie ohnehin nie dazu gehören würde. Dass sie nur in einem kleinen Zimmer Worte und Bilder zurechtschneiden und irgendwo in den Glasfaserkabeln nach einem Menschen suchen würde, einem Menschen, der sie retten könnte oder wenigstens lieben. Sophia Mandelbaum hat an Worte geglaubt, aber nicht an sich selbst. Immer, wenn es nicht weiter ging, kam ich hierher und erzählte Geschichten, verwischte Leerzeichen, sprang zwischen den Zeilen. Immer, wenn es nicht weiter ging, gab es hier jemanden, der zurück schrieb, der Satzanfänge mit Lächeln auffüllte. Mit allem, was ich erfunden habe, konnte ich hier ehrlich sein. Ich musste nicht funktionieren, nichts beweisen, ich habe mein Dunkel ausgelegt, mit der Halsschlagader nach oben, und ich hatte Glück: bislang wurde niemand verletzt.
post 11611107262622 crawl-Datum: 08.10.2017rss05:24 Vor dem Fenster macht sich ein Vogel warm fürs erste Lied, während ich noch immer versuche, einzuschlafen, unterm Bett leuchtet der Wecker, ein nicht zu verfehlendes Gespenst. Als Kind habe ich im Traum versucht, die Geister in Stücke zu reißen, die mich verfolgten, bin hochgeschreckt, als jeder Fetzen sein eigenes, höhnisches Gesicht bekam und das Gelächter unerträglich polyphon wurde. Schon als Kind gab es kein Nervenkostüm in meiner Größe, schon als ich mit baumelnden Beinen an Kindergarten- und Grundschultischen saß, habe ich geahnt, dass das nichts wird mit der Normalität, nicht in diesem Leben. Eltern bringen einem nur bei, wie man in ihrer Welt überlebt, nicht in der richtigen. Ich übe ja, jeden Tag, ich übe mich darin, so zu tun, als sei auch für mich selbstverständlich, was alle anderen im Schlaf können: Schlafen, zum Beispiel. Aufstehen. Durchhalten. Nicht verzweifeln. Aber ich bleibe, was ich bin: ein Tier, das im Dunkeln lebt, in einem stillen Raum, und egal, wie ich ihn beschreibe, er wird dir fremd bleiben, denn dein Raum ist dort draußen, im Regen, im Wind. Auch wenn du dich dabei ertappst, das Gegenteil zu glauben: nichts an mir brächte dich zum Träumen. Ich bin ein blasser Nachtkurier, installiere ein Lächeln in meiner Stimme und flüstere ins Funkgerät, ohne zu wissen, wer zuhört, presse meine Stirn gegen den Bildschirm, als sei er eine kühlende Hand. Aus den Resten des Internets habe ich mir eine Stadt zusammen geklaubt, warme Worte auf mein Kleid genäht, ein Steppbett aus Sätzen, ein Kokon aus Nullen und Einsen. Ich lasse Zeilen durch meinen Körper wandern, falsche Namen, erfundene Träume. Ich verspreche, dass ich niemanden für eine Nacht suche, denn eine Nacht ist zu lang, um nicht entdeckt zu werden.
post 1108418000514 crawl-Datum: 08.10.2017rssmake a space. Wenn jemand stirbt, verändert das alles; eine Zeit lang, bis der Alltag dich wieder hat, das stumme Sitzen am Schreibtisch, der wenige Schlaf, die Verbissenheit, die sich immer wieder in deinen Mundwinkeln breit macht. Du schaust alle ein, zwei Stunden auf, schaust ins Licht vor den Fenstern, du hast ja noch Zeit, denkst du, bis der Abend mit einem Schlag die Dunkelheit zurück bringt und du sie wieder verschenkt hast, deine Chance auf ein bisschen Vitamin D. Den Menschen, der zu früh gegangen ist, ehrst du am besten, indem du nicht vergisst, dass du keine Zeit hast. Dass niemand Zeit hat. Dass jeder Tag, an dem in deinem Körper kein Infarkt, kein Krebs ausbricht, ein Wunder ist oder wenigstens verdammt unwahrscheinlich. Stell dir vor, das hier wären deine letzten Tage. Schau auf die letzten ein, zwei Jahre zurück, in denen du deinen Urlaub immer weiter verschoben hast, so weit verschoben, dass du ihn irgendwann einfach vergessen hast. Schau auf die Nachtschichten, die Wochenenden am Schreibtisch. Arbeiten, sich sinnvoll fühlen, zufrieden sogar, bis beim Zähneputzen die Angst zurück kommt, die Angst vor dem, was passiert, wenn du ersetzt wirst, denn so einen Job hast du dir ausgesucht. Einen, in dem du schnell austauschbar bist. Wenn du irgendwann nach all den Nachtschichten und dem nicht genommenen Urlaub krank wirst, zwei Wochen lang, oder sogar drei. Oder wenn jemand stirbt. Und du nicht wieder auf die Beine kommst. Wenn jemand stirbt und du über Wochen nur weinen kannst und nicht arbeiten. Dann erinnerst du dich. Dann erinnert man dich, wie ersetzbar du bist. Es sind harte Zeiten, sagen sie. Alle müssen den Gürtel enger schnallen, sagen sie. Alle, abgesehen von denen, die das sagen, denn die kriegen mehr als du, vielleicht um die fünfzehn Mal mehr, jeden Monat, ohne Weihnachtsgeld, vom Weihnachtsgeld reden sie erst gar nicht. Nicht mit dir. Und dann fällt dir auf, dass du genau dort weitermachst, wo du aufhören wolltest. Dass du so tust, als könnte man dich einfach weglassen, ohne dass irgendwas fehlt.
post 9566939187614 crawl-Datum: 08.10.2017rssZwei werden sich nie einig sein, was ein Moment wirklich bedeutet. Was es heißt, wenn ich meine Hand... Zwei werden sich nie einig sein, was ein Moment wirklich bedeutet. Was es heißt, wenn ich meine Hand auf deine lege. Was meine stolpernden Worte bedeuten und dein Lächeln, das auf Rückzug geht. Was das Foto bedeutet, das du von mir geschossen hast, in einem unbeobachteten Moment, das Foto, das du still auf den Tisch legst, bevor du gehst, eine Erinnerung an bessere, schweigsamere Tage. Ich bin im Schreiben immer besser gewesen als im Reden. Manchmal denke ich, ich sollte stumm spielen, alles, was ich sagen will, zuerst auf Notizblöcke kritzeln und zehn Mal gegenlesen, alles Überflüssige kürzen und streichen, alles, was zu sehr nach Sehnsucht klingt, nach Brauchen, nach Einsamsein, alles, was zu sehr nach mir klingt. Alles, was mich zurück an den Rand deines Lebens rückt, irgendwo dorthin, wo die unliebsamen, sperrigen Möbel stehen, die man beim nächsten Umzug zurücklässt. Irgendwo kurz vor unbekannt, irgendwo, wo ich begreife, dass Reden ein Spiel ist, das ich nicht gewinnen kann.
post 5378767080728 crawl-Datum: 08.10.2017rssfür M. Das kleine Lichtrund auf meinen Fotos verriet, dass mein bisheriges Leben unter einer Schreibtischlampe stattgefunden hatte. Ich war ein Nachtkurier mit gelblicher Haut, flüsterte ins Funkgerät, ohne zu wissen, wer zuhörte. Ich war ein Tier, das im Dunkeln lebte. Unter Bettdecken und Tischen. Unter Laken, auf Linoleum. Ich hatte mir aus den Resten des Internets eine eigene Stadt zusammen geklaubt, warme Worte auf mein Kleid genäht, ein Steppbett aus Sätzen, ein Kokon aus Nullen und Einsen. Staub lag auf dem Meer an meinen Wänden. Eine Spinne krabbelte über die Wellen vor Maui, sprang auf ein grobkörniges Stück Sahara. Unzählige Male hatte ich meine Adresse hergegeben, in der Hoffnung, dass einer käme und die Leere aus mir atmet. Eine umgekehrte Wiederbelebung. Aber sie schickten bloß Karten. (Keiner von denen wusste, wie man fällt.) Du hast mir geschworen, dass das Licht nach den dunklen Jahren unfassbar sein würde. Ich habe dir nicht geglaubt. Du hast mich in deinen Briefen, in deiner fein geschwungenen Schrift mit nach draußen genommen, in den Regen, den Wind. Du hast die richtigen Fragen gestellt, aber das habe ich erst begriffen, als ich zum ersten Mal über das Blutrot der Sonne staunte. Über die unsagbare Stille der Berge. Über grandiose Blumenfarben am Straßenrand. Als ich den Kopf in den Nacken geworfen und mit dem Wind gelacht habe, der mir das Haar zerzauste. Du hast mich aus der Fassung gebracht. Im besten Sinne. Wenn ich könnte, ich würde jeden Brief an dich neu schreiben. Würde dir rechtzeitig sagen, dass du in deinem Lächeln zu viel Platz für Sorgen lässt. Dass ich mich als erstes in deine Angst vor Belanglosigkeiten verliebt habe. Dass du der schönste Mensch bist, den ich nie gesehen habe, und am schönsten warst du im Wort. Du wolltest ein Buch schreiben, und du wusstest, dass das Wichtigste die Widmung ist. Du hast jemanden geliebt, eine Liebe, die Wundbrand war. Du warst so demütig angesichts dessen, was du verloren hast. Du trugst nicht schwer an deinem Schmerz, du trugst schwer an Ungeduld, am Warten auf den Tag ihrer Rückkehr. Für diese Frau hättest du alles hinter dir gelassen. Wenn ich könnte, ich würde dir dieses Mal rechtzeitig sagen, wie gern ich diese Frau gewesen wäre. Und dass ich bis heute meine Hände nur deswegen ineinander lege, weil deine fehlt. Ich habe deine Stimme verloren, weißt du. Es ist zu lange her. Ich würde sie unter vielen nicht wieder erkennen. Aber ich wünsche mir, dass ich das nicht muss. Ich wünsche mir, dass wir uns eines Tages an irgendeinem Bahnhof gegenüberstehen, müde von der Fahrt und vom Vorfreuen, und dass ich dir sagen kann: Ich habe es damals nicht gewusst, aber du hast mir das Leben gerettet.
post 3211846121330 crawl-Datum: 08.10.2017rssAch, Hildesheim. Als ich hier anfing, sah ich aus wie ein Junge, bleich und langhaarig und an den falschen Stellen zu dünn. Ich stakste durchs Studentenwohnheim, behindertengerecht nannten sie das, dass der dunkle Flur sich ohne Treppen nach oben schraubt, eine Mischung aus Jugendherberge und Science-Fiction aus den Fünfzigern. Ich saß in der Uni und lernte, dass man nachmittags ruhig den ersten Sekt aufmachen kann und Luftgitarren ein ernst zu nehmendes Seminarthema darstellen. Das hier hätten doch Leute wie ich sein sollen, stille Stubenhocker, und dabei ging es mit dem Saufen, dem Lautsein erst los, ich saß mit Notizbuch und großen Augen in Kellern, auf Dachböden und in Seminarräumen; hätte es einen Panikknopf gegeben, ich hätte ihn nicht loslassen können. Dieses Herzrasen, als es anfing mit dem Texte vorlesen, den Kopf zwischen den Schultern nach unten geschraubt. Als es damit anfing, sich ernst zu nehmen für das, was man tut. Das Schreiben zum ersten Mal „Arbeit“ nennen. In Hildesheim zu studieren, war, wie in Therapie zu sein. „Wie lange bist du schon hier?“ „Wie lange musst du noch?“ „Was macht dieser Text emotional mit dir?“ Manche waren vorher schon krank gewesen, manche wurden es erst, und an manchen schienst du abzuprallen: sie fläzten sich auf deinen Wiesen, stapften unverdrossen durch deinen Regen, mit ihren Hipsterjeans und Ballettschühchen, mit offenen Haaren und Hemden. Deine Ureinwohner sind Alte, die aufs Sterben warten oder Teenager mit Zahnspangen, die sich prügeln wollen, dazwischen gibt es nichts, nichts als Studenten, die verzweifelt versuchen, sich nicht zugehörig zu fühlen und in irgendeinem Supermarkt frisches Gemüse zu finden. Alles hier schaut abgestanden aus, ich musste Kassiererinnen erklären, was Basilikum ist und hätte mich danach gern betrunken, ein weiteres Mal. Ich litt an dir wie ein Hund und bekam Carepakete, von Freunden und Fremden, ich habe in meinem Wohnheimzimmer eindeutig zu viele Jungs geküsst und zu wenige Mädchen. Ich habe ein Menschenleben gerettet und das einer Ente nicht retten können, die deine Einheimischen umgebracht und gegrillt haben, Hildesheim, an deinem beschaulichen See, wo immer mal wieder ein Betrunkener untergeht; Holzkreuze erzählen von René oder André, während nebenan Kopfsprünge geübt werden. Wer die schlimmste Vorstellung von Provinz mit seinem Alter malnimmt, der weiß, wie es hier aussieht. Es läuft sich, es denkt sich wie durch Sirup durch deine Straßen und Tage und ich habe mich dafür gehasst, genau das zu brauchen, diese ins Minus gedrehte Geschwindigkeit. Ich brauchte diese drei Jahre, in denen ich lachen und weinen lernte, in denen ich aus dieser unsäglichen Taubheit klettern lernte, die mich ausgefranst hatte. Du zwingst zur Nähe, Hildesheim, du zwingst zu ausgiebigsten Tee- und Bierstunden in WG-Küchen, weil deine Cafés, deine Clubs ihre Namen nicht verdienen. Aus Verbündeten gegen dich werden Freunde, man liegt sich hier rekordschnell in den Armen, jedes Stück Wärme wird geschluckt, damit es sich im Magen hält, auf dem Heimweg. Hinter mir liegen drei Jahre voller Gespräche, eine Tiefe, die ich in Berlin erst suchen muss, weil man hier nicht so leicht in fremde Küchen darf, weil man hier Mittel- und Knotenpunkte suchen muss, Zwischenorte, an Haltestellen gelegen. Man wird dir nicht gerecht, Hildesheim, weil man sich an dir aufreibt, dich hassen muss und trotzdem an dir gesund wird. Und es braucht Berlin nicht, weil da alle hingehen und immer noch glauben, bei ihnen wäre das neu. Es braucht Berlin, weil ich ein Zuhause brauche, Hildesheim, und dafür taugst du einfach nicht. Ich lasse zentimeterweise Haar zurück, eine Handvoll Illusionen und die Gewissheit, dass du alles verändert hast. Hab es gut, Hildesheim. Danke für alles.
post 554899603921 crawl-Datum: 08.10.2017rssfür Ron Winkler Das Meer schickt Blaufrequenzen aus. Dieser Tag ist kein Farbfehler; wir staunen Küsten und inhalieren Wolken. Möwenrundflug statt Mittagsschlaf. Wir werden vom Wind bestürmt; unsere Sohlen erzählen sich Sandgeschichten, erzählen von Eiscreme und Sonnenkugelbäuchen. Auf unserer Decke liegen Wäschenester; Fische sind uns voraus. Wir umschwimmen die Quallen mit ihren aufgeschwemmten Gesichtern, wir betasten Muschelnähte und lassen uns von Marienkäfern trocknen; sie arbeiten im Schichtdienst auf unseren Armen. Der Horizont kocht Schiffsmeldungen ein: Heute sammeln wir Himmelsrichtungen. Bilddank an Lucy Muskalunge.
post 42400495215 crawl-Datum: 08.10.2017rssWichtig ist, nie beim Anfang zu beginnen. Ich werde dich suchen,... Wichtig ist, nie beim Anfang zu beginnen. Ich werde dich suchen, hier, zwischen den Zeilen. Irgendwo zwischen zurechtgeschnittenen Worten und Bildern, irgendwo in den Glasfaserkabeln, im Fluchtpunkt einer Atempause. Kontrollgang des Blicks in die Ferne: Unser Wir zieht Fäden, die Wolken entlang. Jeder Vogelschatten, der mich streift, berichtet von deinen Brauen und Wimpern. Die Spuren von Entenfüßen im Fluss erzählen von deinem Lächeln. Der Duft frischer Pistazien muss mit deinem Nacken zu tun haben. Wenn ich mein Gesicht lang genug in die Stille halte, weiß ich, dass es sich lohnt, an Worte zu glauben. An die glatte Kühle hinter dem Spiegel. An einen neuen Namen. An sonnendurchschienene Katzenohren und mehlbestäubte Finger, die sich ineinander verschränken. An die Möglichkeit einer guten Nacht. An Kuchenteig. An die Sagbarkeit von Freude.